US-Rezession: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Die US-Wirtschaft ist nicht unterzukriegen – trotz allen Gegenwinds expandiert sie in solidem Tempo. So gab das Statistikamt in der vergangenen Woche bekannt, dass das BIP-Wachstum im 1. Quartal 2023 nicht wie ursprünglich gemeldet 1,3%, sondern 2,0% betrug (annualisiert). Im gerade abgelaufenen Vierteljahr dürfte es nach unserer Schätzung immerhin noch knapp 1,0% gewesen sein. Die Rezession lässt somit weiter auf sich warten. Mehr noch, die jüngsten Daten deuten darauf hin, dass die Verbraucher im Juni zuversichtlicher geworden sind, die Auftragseingänge der Industrie im Mai zugelegt haben und die Bauwirtschaft sich zum Ende des 2. Quartals erholt hat. Gelingt der Fed also doch das scheinbar Unmögliche – ein Soft Landing?

Die Gründe für die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft im 1. Halbjahr 2023 liegen in erster Linie beim privaten Verbrauch. Die Konsumenten zehren nach wie vor von dem während der Pandemie angehäuften Sparüberhang. Insbesondere hat der Staat jedoch zu Jahresbeginn die Transfereinkommen kräftig angehoben (um knapp 9%). Darüber hinaus wurde aber auch die Investitionsnachfrage bislang nur wenig in Mitleidenschaft gezogen. Ursächlich dafür war die noch zu Jahresbeginn vorhandene Preissetzungsmacht der Unternehmen. Sie hat es ihnen ermöglicht, die höheren Kosten auf die Preise zu überwälzen. 

All diese stützenden Faktoren verlieren allerdings zusehends an Kraft. Der Sparüberhang ist mittlerweile von 2.200 Mrd. USD auf 700 Mrd. USD abgeschmolzen. Die von knapp 12% auf 1% abgestürzte Jahresrate der Erzeugerpreise unterstreicht, dass der Preisüberwälzungsspielraum schwindet. Unterdessen sehen sich die Unternehmen aber weiter mit den hohen Zins- und Lohnstückkosten konfrontiert. Letztere expandieren immer noch mit über 5%. Die Gewinnmargen bleiben daher unter Druck. Des Weiteren straffen die Banken ihre Finanzierungskonditionen und ziehen sich aus der Unternehmens- und Immobilienfinanzierung zurück. Schliesslich drückt der Staat bei den Staatsausgaben auf die Bremse. Neue konjunkturelle Impulse sind mithin nicht auszumachen, stattdessen wachsender Gegenwind.

Wie ernst die Lage ist, zeigen auch zwei gängige Rezessionsindikatoren für die USA: der Leading Indicator des Conference Boards und die Zinskurve (3-Monats-Zins minus 10-jährige Treasury-Renditen). Aus beiden Indikatoren, die sich in den vergangenen Jahrzehnten nie geirrt haben, lässt sich eine Rezessions-wahrscheinlichkeit über die nächsten Monate von 70% bis 100% ableiten. 

Einige Analysten setzen jetzt darauf, dass die KI-Euphorie einen neuen Investitionsimpuls entfacht und somit in letzter Minute die Rezession abwendet. Das halten wir indes für unwahrscheinlich. Es kann zwar sein, dass einige Unternehmen nunmehr vermehrt in KI investieren. Dies ändert aber nichts daran, dass die Investitionsbudgets insgesamt gekürzt werden – laut Umfragen geschieht dies bereits wegen der schwindenden Nachfrage und der steigenden Zinskosten.

Alles in allem hinterlässt die extrem expansive Geld- und Fiskalpolitik der Jahre 2020/2021 offensichtlich auch 2023 noch positive Spuren. Der »Lag« mit dem der jüngste negative Zinsschock der Fed wirkt, ist daher dieses Mal länger als üblich. Dessen ungeachtet kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich das Umfeld sukzessive weiter eintrübt. Die US-Wirtschaft wird daher in den nächsten Monaten in die Rezession abrutschen. Wann dies konkret der Fall sein wird – im 3. oder im 4. Quartal 2023 –, lässt sich indes nach wie vor schwer abschätzen. Dem Investor bleibt somit nichts anderes übrig, als sich bereits jetzt defensiv zu positionieren, um auf den absehbaren Einschlag vorbereitet zu sein.
 

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