Sinkende Inflation spricht gegen lange Phase hoher Zinsen

In ihrem Bemühen, die stärkste Geldentwertung seit Jahrzehnten in den Griff zu bekommen, haben die US-Notenbank Fed und die EZB die Leitzinsen in den vergangenen Quartalen in kürzester Zeit massiv angehoben. Beide Notenbanken stellen zudem eine lange Phase in Aussicht, in der die Zinsen auf dem hohen Niveau gehalten werden sollen. Mit Sorge blicken die Währungshüter dies- und jenseits des Atlantiks dabei auf die Lohnentwicklung.

Es gibt allerdings gute Gründe anzunehmen, dass es anders als in den 1970er Jahren dieses Mal nicht zur gefürchteten Lohn-Preis-Spirale kommt, bei der sich Löhne und Preise gegenseitig hochschaukeln. Zahlreiche Daten zeigen nämlich, dass ein enormer disinflationärer Impuls auf dem Weg ist.

Ausgangspunkt ist der massive Rückgang der Energiepreise in den vergangenen Monaten. Der Kostenschock für Unternehmen und private Haushalte ist – im Unterschied zum ersten (1973) und zum zweiten Ölpreisschock (1979/1980) – nicht dauerhaft, sondern es handelt sich um ein temporäres Phänomen.

Bei den im Zuge der Corona-Pandemie in die Höhe geschossenen Frachtkosten ist die Situation ähnlich. Inzwischen haben sie sich weitestgehend auf das Vor-Pandemie-Niveau zurückgebildet. Das sorgt in Sachen Kostendruck ebenfalls für Entlastung. Verstärkt wird der disinflationäre Impuls darüber hinaus durch die Entwicklung in China. Zahlreiche Beobachter hatten befürchtet, dass es im Land der Mitte infolge der Corona-Nachholeffekte zu einem massiven Preisanstieg auf Erzeugerebene kommt, der den Preisauftrieb in den USA und in der Eurozone über höhere Importpreise zusätzlich anfacht. Dazu ist es aber nicht gekommen. Die chinesischen Erzeugerpreise sind sogar rückläufig. Im Mai lag die entsprechende Vorjahresrate bei -4,6%.

Auf den vorgelagerten Preisstufen sind die inflationsdämpfenden Effekte in den USA und in der Eurozone bereits sichtbar. Die Import- und die Erzeugerpreise sind rückläufig und die Absatzpreiserwartungen in der Industrie befinden sich im freien Fall. Es zeichnet sich mithin ab, dass die Unternehmen ihre Preise trotz der gestiegenen Lohnkosten nur noch in geringem Ausmass anheben – wenn überhaupt. Diese Einschätzung wird durch die Beobachtung untermauert, dass sich Löhne und Kerninflation in der Vergangenheit parallel entwickelt haben. Das Lohnwachstum hat mithin keine gute Prognosekraft für die zukünftige Entwicklung der Verbraucherpreise.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass die bereits erfolgte massive geldpolitische Straffung ihre Wirkung erst zu einem kleinen Teil entfaltet hat, sind weitere Zinsanhebungen unseres Erachtens nicht angezeigt. Zugleich bezweifeln wir, dass Fed und EZB das restriktive Zinsniveau tatsächlich sehr lange aufrechterhalten können. In den USA verdichten sich die Anzeichen einer scharfen Konjunkturabkühlung, die zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen wird. Die US-Notenbank wird hierauf voraussichtlich ab Herbst mit umfangreichen Zinssenkungen reagieren.

In der Eurozone dürften die starken Zinsanhebungen seit Juli vergangenen Jahres die Rezession verschärfen. Der von der EZB prognostizierte Aufschwung wird sich nicht materialisieren. Stattdessen läuft die Notenbank mit ihrer prozyklischen Politik Gefahr, den noch soliden Arbeitsmarkt abzuwürgen und damit erneut ein Unterschiessen ihres Inflationsziels zu riskieren. Auch die EZB dürfte daher um den Jahreswechsel 2023/2024 damit beginnen, die Leitzinsen wieder zu senken.

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