Am Wochenende gab es eine Einigung im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes in Deutschland. Gewerkschaften und Arbeitgeber haben sich auf die Zahlung eines Inflationsausgleichs in Höhe von 3.000 EUR netto sowie eine Anhebung der Tariflöhne um 200 EUR plus 5,5% ab März 2024 verständigt. Laut Gewerkschaften entspricht das für die meisten Angestellten von Bund und Kommunen einem dauerhaften Lohnplus von mehr als 11,0%.
Ist dieser Abschluss damit ein Beleg dafür, dass sich einige Währungshüter der EZB zu Recht vor dem Beginn einer Lohn-Preis-Spirale fürchten? Bei genauer Betrachtung der Tarifeinigung zeigt sich, dass dem nicht so ist. Obwohl der Anstieg der Löhne und Gehälter im nächsten Jahr äusserst hoch ausfällt, erleiden die Beschäftigen dennoch Reallohnverluste.
Die deutschen Verbraucherpreise sind in den Jahren 2021 und 2022 in Summe um 10,2% gestiegen. In diesem und im nächsten Jahr kommen voraussichtlich weitere 10,0%-Punkte hinzu. Dem steht ein kumulierter Einkommenszuwachs der Beschäftigen bei Bund und Kommunen in Höhe von etwa 14,0% gegenüber. Unter dem Strich bedeutet das für den genannten Zeitraum einen Reallohnverlust von mehr als 6,0%. Die hohe Einmalzahlung verschleiert bzw. verschiebt diesen lediglich ins nächste Jahr.
Dieses Ergebnis lässt sich auf alle Arbeitnehmer in Deutschland übertragen. Inzwischen liegen Tarifabschlüsse für rund zwei Drittel der Beschäftigten für 2023 und mehr als die Hälfte für 2024 vor. In den allermeisten Fällen wurden Tarifanhebungen weit unterhalb des erlittenen bzw. erwarteten Kaufkraftverlusts vereinbart, die durch eine üppige Einmalzahlung kaschiert werden. Für die Eurozone kommen wir zu einem ähnlichen Ergebnis. Auch hier wird der Lohnanstieg in diesem und im nächsten Jahr mit 4,0% bis 5,0% zwar so hoch ausfallen wie nie zuvor – dennoch bleiben unter dem Strich Reallohnverluste.
Die Aussichten für den privaten Konsum sind vor diesem Hintergrund abgesehen von einem möglichen Strohfeuer infolge der Einmalzahlungen gedämpft, was den Preisüberwälzungsspielraum der Unternehmen verringert. Diese Einschätzung wird durch die bis zuletzt gesunkenen Absatzpreiserwartungen der Unternehmen untermauert.
Die Voraussetzungen für eine Lohn-Preis-Spirale sind mithin nicht gegeben. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Verbraucherpreise in den kommenden Quartalen deutlich weniger stark steigen als in den vergangenen eineinhalb Jahren. Zumal mit dem Auslaufen der Corona-Nachholeffekte im Bereich Tourismus und Freizeit sowie der normalisierten Lieferketten zwei wesentliche Preistreiber wegfallen. Folglich wird der Inflationsdruck im 2. Halbjahr 2023 und im 1. Quartal 2024 erheblich abnehmen. Weitere kräftige Zinsnahebungen wegen des hohen Lohnwachstums sind somit nicht nötig.
Davon abgesehen sollte sich die bereits erfolgte massive Verschärfung der Geldpolitik in Kombination mit dem sich eintrübenden aussenwirtschaftlichen Umfeld stark dämpfend auf die Konjunktur in der Eurozone auswirken. Da sich zugleich die Inflationsaussichten spürbar aufhellen, erwarten wir von der EZB nur noch ein bis zwei Zinsschritte um je 25 Bp.