Lagarde lässt Leitzinsausblick völlig offen

Die EZB hat im Juli erneut an der Zinsschraube gedreht und die Depositenrate von 3,50% auf 3,75% angehoben. Mit Blick voraus hat sich die Notenbank jedoch alle Optionen offengehalten. Auch eine Leitzinspause ist laut Notenbankpräsidentin Lagarde in den nächsten Monaten möglich. Die EZB reagiert damit auf die eingetrübten Konjunkturaussichten. Aus unserer Sicht sind die Chancen nunmehr gegeben, dass keine weitere Straffung mehr erfolgt.

Leitzinsreise früher zu Ende als gedacht?

Im Rahmen der jüngsten Notenbanksitzung hat die EZB die Depositenrate erwartungsgemäss um 25 Bp auf 3,75% erhöht. Es war die neunte Anhebung in Folge. Der Hauptrefinanzierungssatz liegt nunmehr bei 4,25% und nähert sich damit dem Rekord aus dem Jahr 2001 (4,75%) an.

Mit weit grösserer Spannung als der aktuelle Zinsentscheid wurde jedoch der Ausblick für die kommenden Monate erwartet. Hier hat die EZB eine markante Wende vollzogen. Anders als im Rahmen der vorangegangenen Sitzungen wurde auf jede Form der Bindung verzichtet. Laut Notenbankpräsidentin Christine Lagarde würden die nächsten Entscheidungen rein datenabhängig gefällt. Es könnte also im September zu einer weiteren Zinsanhebung kommen, genauso sei aber auch eine Leitzinspause möglich (Zinssenkungen schloss sie aus). Dies gelte dann auch für die nachfolgenden Sitzungen.

Die EZB-Chefin wollte auch nicht mehr ihren Lieblingssatz der vergangenen Monate wiederholen, wonach mit Blick auf die Leitzinsen noch eine gute Wegstrecke vor uns liegt (»we have more ground to cover«). Damit stellte Lagarde in gewisser Weise sogar die Neigung zu einer weiteren monetären Straffung in Frage. Der Wandel im Zinsausblick spiegelte sich auch subtil in der Forward Guidance des offiziellen Statements wider. So hiess es dort bislang, dass die Leitzinsen auf ein ausreichend restriktives Niveau »gebracht« werden müssten. Jetzt ist nur noch die Rede davon, dass die Zinsen so lange wie möglich auf einem restriktiven Niveau »festgelegt« werden.

Konjunkturausblick hat sich verschlechtert

Die EZB reagiert mit ihrem weniger aggressiven Zinsausblick, den in den Vorwochen bereits einige prominente EZB-Falken angedeutet haben (Klaas Knot, Joachim Nagel), auf die jüngste wirtschaftliche Entwicklung. So hat sich zum einen – wie die Notenbank einräumt – das konjunkturelle Umfeld spürbar eingetrübt. Zum anderen sind Fortschritte bei der Disinflation erkennbar. Schliesslich hat sich das Kredit- und Geldmengenwachstum weiter spürbar abgeschwächt, was die Notenbank als Indiz für die Wirksamkeit der geldpolitischen Impulse wertet.

Auch in der Eurozone dürfte das Leitzinshoch erreicht sein

Alles in allem hat die EZB in Sachen Zinsausblick eine Kehrtwende vollzogen und sich den grösstmöglichen Spielraum für die kommenden Sitzungen eingeräumt. Der nunmehr eingeschlagene Weg gleicht somit demjenigen der Fed (siehe unseren Fed-Kommentar: US-Leitzinshochpunkt dürfte erreicht sein).

Wir gehen davon aus, dass der Datenstrom der nächsten Wochen zum einen weitere Belege für eine konjunkturelle Abkühlung in der Eurozone liefert. Mithin erwarten wir im 3. und 4. Quartal eine Schrumpfung des BIP. Die EZB hat hingegen im Juni noch ein robustes Wachstum für das 2. Halbjahr 2023 unterstellt. Hier wird sie um eine kräftige Abwärtskorrektur nicht umhinkommen. Zum anderen dürfte auch die Headline-Inflationsrate weiter fallen. Als einziger Wermutstropfen sollte sich die Entwicklung der Kerninflationsrate erweisen, die allein aus technischen Gründen auch im August noch über 5,0% verharren wird.

Die Entscheidung im September dürfte daher ein Close Call werden. Aus unserer Sicht überwiegt jedoch die Wahrscheinlichkeit für ein Stillhalten. Zum Jahresende dürften die Belege für einen weiter abnehmenden Teuerungsdruck dann immer erdrückender werden. Ähnlich wie in den USA spricht daher viel dafür, dass auch in der Eurozone mit dem jüngsten Schritt das Leitzinshoch (bei 3,75%) erreicht wurde.

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