Harmlose Rezessionen sind selten

Stell dir vor, es ist Rezession und niemanden interessiert es. Die deutsche Wirtschaftsleistung ist in den vergangenen zwei Quartalen um immerhin knapp 1,0% geschrumpft. In Unruhe hat das aber bislang kaum jemanden versetzt. Im Gegenteil, das deutsche Börsenleitbarometer DAX ist am 19. Mai auf einen neuen Gipfel von 16.331 Punkten gesprungen. Gleichzeitig spricht sich ausgerechnet der Bundesbankpräsident vehement für weitere Leitzinsanhebungen aus. Eine Rezession auf der einen Seite und Zinserhöhungen sowie Rekorde am Aktienmarkt auf der anderen Seite – wie passt das zusammen?

In der DAX-Erholung der vergangenen Monate spiegelt sich nach wie vor wider, dass die schlimmsten Befürchtungen aus dem vergangenen Herbst nicht eingetreten sind. Die Gasmangellage und damit ein Absturz der Wirtschaftsleistung ist ausgeblieben. Mithin scheint ein gewisses Aufatmen über eine lediglich milde Rezession gerechtfertigt. Ausserdem sind im DAX viele internationale Konzerne vertreten, deren Umsatz- und Gewinnsituation stärker vom Ausland als vom Inland abhängen. Das sieht man nicht zuletzt daran, dass die Indizes für die Small- und Mid-Caps (MDAX und SDAX) noch mehr als 20% unter ihren Allzeithochs liegen. Darüber hinaus mögen einige Titel, die besonders stark performten (z.B. Siemens Energy und Rheinmetall) von einer Sonderkonjunktur profitiert haben.

Für die EZB blieb wiederum bis zuletzt die Inflationsbekämpfung das Mass aller Dinge. Der Abschwung wird dagegen kaum thematisiert. Ein Grund für diese Gelassenheit ist, dass sich die Beschäftigungslage immer noch stabil zeigt. Dies ist eine weitere Besonderheit der deutschen Rezession – sie ging bislang ohne Entlassungswelle einher. Aufgrund des Fachkräftemangels warten die Unternehmen erst einmal ab und »horten« Arbeitskräfte. 

Mit der Besonnenheit dürfte es aber bald vorbei sein, denn es zeichnet sich keine kurze, sondern eine ausgewachsene Rezession ab. So hatte das milde Wetter zu Jahresbeginn einen Einbruch der Bauwirtschaft noch verhindert. Dieser wird aber unvermeidlich kommen, worauf alle Indikatoren (unter anderem Baugenehmigungen und Hypothekenanträge) hinweisen. Ausserdem deutet sich auch bei den Exporten in den nächsten Monaten eine kräftige Abschwächung an. Schliesslich wird der von den Notenbanken verursachte Zinsschock die Investitionstätigkeit immer stärker belasten.

Mit der Zeit dürfte somit die Rezession ihre Harmlosigkeit verlieren. Bei anhaltend rückläufigen Umsätzen werden die Unternehmen nicht umhinkommen, ihren Personalbestand zu reduzieren. Gleichzeitig sind auf staatlicher Ebene ebenfalls Ausgabenkürzungen vorprogrammiert. Bereits jetzt gehen die Steuerschätzungen nach unten. In einer schrumpfenden Wirtschaft werden schliesslich auch die Unternehmensgewinne zurückgehen, es sei denn die Arbeitnehmer akzeptieren einen weiteren Reallohnrückgang, wovon aber angesichts der neu entfachten Kampfbereitschaft nicht auszugehen ist.

Wenn die Unternehmen ihre Gewinnprognosen abwärtsrevidieren, wird sich dies zwangsläufig negativ in den Aktienkursen niederschlagen. Da wir von einer globalen Abkühlung ausgehen, werden auch die internationalen DAX-Konzerne nicht ungeschoren davonkommen. Ausserdem wird der Druck auf die Währungshüter steigen, nicht weiter an der Leitzinszinsschraube zu drehen, sondern die Wirtschaft zu unterstützen. Die Hoffnung, dass die Winterrezession ein kleiner »Unfall« war, wird sich somit nicht erfüllen.  

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