Forward Guidance der EZB dürfte sich erneut als falsch erweisen

Es ist noch nicht allzu lange her, dass die EZB von Inflationsrisiken nichts wissen wollte. Noch im November 2021, als die Inflationsrate in der Eurozone bereits auf 6,0% geklettert war, gab sich z.B. Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel betont entspannt. Sie verwies darauf, dass die Inflationsrate schon bald wieder auf 2,0% zurückgehen werde. Ins gleiche Horn stiess EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Sie sagte ebenfalls Ende 2021, sie halte es für sehr unwahrscheinlich, dass die Leitzinsen 2022 steigen werden, da die Inflation den eigenen Prognosen zufolge bald wieder unter 2,0% abrutschen würde.  Eine grobe Fehleischätzung, wie wir heute wissen.

Natürlich konnten die Währungshüter damals nicht ahnen, dass Russland nur wenig später die Ukraine überfallen und damit einen neuerlichen Preisschub auslösen würde. Allerdings waren unabhängig davon die Voraussetzungen für eine länger anhaltende Phase hoher Inflation bereits im Jahr 2021 vorhanden. Es wäre daher angezeigt gewesen, die ultraexpansive Geldpolitik deutlich früher zu beenden.

Dennoch hat es bis Juli 2022 gedauert, bis der EZB-Rat zur Tat schritt. Seither wurden die Leitzinsen um 450 Bp angehoben. Das entspricht in Kombination mit dem gleichzeitig erfolgten Abbau der Notenbankbilanz der schärfsten geldpolitischen Straffung seit mehr als 40 Jahren. Im Zuge der jüngsten Zinsentscheidung im September haben die Währungshüter zwar das Ende der Zinserhöhungen in Aussicht gestellt, allerdings werden sie nicht müde zu betonen, dass die Zinsen wahrscheinlich lange Zeit auf dem erreichten Niveau verharren werden (Higher for longer). Die Grundlage dieser Einschätzung sind wie 2021 die eigenen Inflationsprognosen. Die zeigen die Rückkehr zu Preisstabilität im Sinne der EZB erst für Ende 2025 an. Wir haben allerdings starke Zweifel an dieser Sichtweise.

So unterstellt die Notenbank, dass sich der Preisauftrieb zwischen Q4 2023 und Q3 2024 nicht weiter abschwächt, sondern dass sich die Teuerungsrate bei 3,3% festsetzt und erst im Verlauf des Jahres 2025 langsam auf 2,0% nachgibt. Wir halten diese Annahme für zu pessimistisch. Einen ersten Hinweis darauf, dass sich die EZB-Prognosen erneut als falsch erweisen werden, lieferten die Inflationsdaten für September. Demnach sind sowohl die Gesamtinflationsrate (4,3% nach 5,2%) als auch die Kerninflationsrate (4,5% nach 5,3%) deutlich stärker gesunken als im Vorfeld erwartet. 

In unseren Augen spricht vieles dafür, dass sich der Disinflationstrend in den kommenden Quartalen fortsetzt und nicht zum Stillstand kommt. Die auf Grosshandelsebene stark gesunkenen Preise für Strom und Gas sowie die ungünstigen Konjunkturperspektiven auch infolge der erheblich verschärften Finanzierungs-konditionen werden die Inflationsrate unserer Einschätzung nach bereits im 2. Halbjahr 2024 unter die Marke von 2,0% drücken.

Aus diesem Grund gehen wir davon aus, dass auch die gegenwärtige Forward Guidance der EZB »Higher for longer« am Ende keinen Bestand haben wird. Wie schon 2022 dürfte der Richtungswechsel bei den Leitzinsen angesichts stark rückläufiger Inflationsraten sowie anhaltend schwacher Wirtschaftsdaten schneller erfolgen als derzeit von den meisten Beobachtern erwartet. Wir rechnen damit, dass das Thema Zinssenkungen im EZB-Rat ab dem Jahreswechsel auf die Tagesordnung kommt und die Leitzinsen bis Mitte 2024 um 75 Bp gesenkt werden. An den Geldterminmärkten ist die erste Zinssenkung um 25 Bp dagegen erst für Juli 2024 eingepreist.
 

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