EZB spannt Märkte auf die Folter

So orientierungslos wie in dieser Woche wurden die Märkte schon lange nicht mehr in eine EZB-Zinsentscheidung geschickt. Notenbankpräsidentin Christine Lagarde war nicht in der Lage oder willens, die Absichten der EZB im Vorfeld klar zu kommunizieren. In der Folge rechnen 23 der von Bloomberg befragten Analysten mit unveränderten Zinsen, während 21 von einer Zinsanhebung um 25 Bp ausgehen. Ähnlich fällt das Ergebnis mit Blick auf die Markterwartungen aus. Eine Zinsanhebung um 25 Bp ist gemäss den Geldterminmärkten zu knapp 40% eingepreist.

Ein für einen Grossteil der Marktakteure überraschendes Ergebnis ist damit garantiert, es wird folglich zu mehr oder weniger deutlichen Marktbewegungen kommen. Die Unfähigkeit, die Märkte besser auf die Absichten der Notenbank einzustimmen, geht auf die Uneinigkeit innerhalb des EZB-Rats zurück. Bereits im Juli hatte sich eine grosse Zahl der Währungshüter zunächst für eine Zinspause ausgesprochen, am Ende unter Zugeständnissen jedoch die Zinsanhebung mitgetragen. 

Angesichts der seitdem enttäuschenden wirtschaftlichen Entwicklung sowie der ungünstigen Perspektiven dürfte die Zahl der Befürworter einer Zinspause in der Zwischenzeit zugenommen haben, sodass die Falken beim anstehenden Treffen einen deutlich schwereren Stand haben werden als vor sechs Wochen. Abgesehen vom sich eintrübenden Konjunkturumfeld werden die Tauben auch die Inflationsaussichten als Argument für unveränderte Leitzinsen ins Feld führen. 

Aufgrund einer Kumulation von Sondereffekten – Basiseffekte bei den Energie- und Nahrungsmittelpreisen, Herausfallen 9-Euro-Ticket, Warenkorbneugewichtung – werden bis zum Jahresende sowohl die Gesamt- als auch die Kerninflationsrate erheblich zurückgehen. Wir rechnen für Dezember mit Werten von rund 2,5% bzw. etwa 3,5%. Zugleich legen Unternehmensumfragen und die ungünstige Wirtschaftsentwicklung einen weiter nachlassenden Preisauftrieb im kommenden Jahr nahe. Die Gesamtinflationsrate sollte unseren Berechnungen zufolge im Jahresdurchschnitt bei unter 2,0% liegen. Die Kernrate dürfte im Jahresschnitt nur noch 2,5% betragen.

Darüber hinaus zeichnet sich auch beim Lohndruck Entspannung ab. Im 2. Quartal schwächte sich der Zuwachs sowohl bei den Tariflöhnen als auch beim Arbeitnehmerentgelt merklich ab. Die Zuwachsraten werden zwar bis weit ins nächste Jahr erhöht bleiben, die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale hat jedoch erkennbar abgenommen.

Vieles sprich in unseren Augen beim anstehenden EZB-Ratstreffen daher für eine Zinspause. Allerdings sind die Mehrheitsverhältnisse wie beschrieben sehr undurchsichtig. Eine taubenhafte Zinsanhebung mit klaren Hinweisen auf das Erreichen des Leitzinsgipfels ist daher nicht auszuschliessen. Wenn die EZB wie von uns erwartet stillhält, rechnen wir nicht damit, dass die Zinsen zu einem späteren Zeitpunkt nochmals angehoben werden. Vielmehr dürfte sich die Diskussion angesichts der ungünstigen Konjunkturperspektiven sowie der spürbar nachlassenden Inflationsgefahren ab dem Jahresende in Richtung Zinssenkungen drehen.

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