EZB geht eigene Wege – das ging selten gut

Fed-Präsident Jerome Powell deutete in den vergangenen Tagen an, der Leitzinshochpunkt in den USA könnte erreicht sein. Die Geldpolitik sei mittlerweile so restriktiv und die Unsicherheiten im Umfeld der Bankenkrise so gross, dass man es sich erlauben könnte, die Daten zu beobachten und abzuwarten.

Die EZB bereitet hingegen eine weitere Leitzinsanhebung für den 15. Juni vor. So war Notenbankpräsidentin Christine Lagarde zuletzt mit den Worten zu vernehmen: »Wir sind noch nicht fertig und legen noch keine Pause ein.« Das Hauptargument der europäischen Währungshüter für eine zusätzliche Straffung ist die hartnäckig hohe Inflation. Gleichzeitig sei die Wirtschaft so stabil, dass sie weitere restriktive Impulse verkraften könne. 

Aus unserer Sicht irrt die EZB jedoch in beiden Fällen. So lässt der Inflationsdruck mittlerweile schneller nach als allgemein erwartet. Im Mai dürfte die Teuerungsrate der Eurozone bereits auf 6,0% fallen – ausgehend von 10,7% im Oktober 2022. Im 2. Halbjahr sollte sie dann Richtung 2% bis 3% vorstossen. Grund dafür sind in erster Linie die rückläufigen Energie- und Nahrungsmittelpreise. Wer hätte schon gedacht, dass trotz des Russlandembargos der Gaspreis in diesem Frühjahr lediglich noch bei rund 30 EUR je MWh und der Ölpreis bei 75 USD je Barrel notiert? 

Die Kerninflationsrate dürfte in den nächsten drei Monaten zwar noch über 5,0% verharren. Dies hat aber rein technische Gründe. Die Warenkorbgewichte wurde von Eurostat so angepasst, dass unter anderem der saisonale Preisanstieg von Pauschalreisen über die Sommermonate überproportional zu Buche schlägt. Ab Herbst kehrt sich dieser Effekt jedoch um und es wird auch bei der Kerninflation deutliche Rücksetzer geben. 

Stärker noch als bei der Inflation dürfte die EZB bei ihrer Prognose für das Wachstum danebenliegen. Hier unterstellt sie für das laufende und die kommenden Quartale BIP-Zuwächse zwischen 0,3% und 0,4% (jeweils im Vergleich zum Vorquartal). Bereits im aktuellen Vierteljahr deutet sich aber eine schrumpfende Wirtschaftsleistung an. Aufgrund der schwachen März-Daten starten die Industrieproduktion, der Einzel-handel und verschiedene Dienstleistungssektoren (unter anderem Gastronomie) mit einem erheblichen statistischen Unterhang. Erste Aprildaten, wie z.B. der Lkw-Maut-Index, lassen darüber hinaus auf keine Besserung schliessen. 

Im 2. Halbjahr sollte es noch schlimmer kommen. Die Leitzinsanhebungen der EZB – seit Mitte 2022 um rund 4%-Punkte – werden dann erst ihre volle Wirkung entfalten. Gleichzeitig ist auch von aussenwirtschaftlicher Seite keine Unterstützung zu erwarten. Die USA dürften in eine Rezession abtauchen und die ohnehin schwachen Impulse aus China werden abnehmen.

Alles in allem kann die EZB im Juni nochmals mit dem Verweis auf die störrische Kerninflation eine weitere Leitzinsanhebung rechtfertigen. Luft für darüber hinausgehende Straffungen besteht unseres Erachtens keine mehr. Aus unserer Sicht wird daher die derzeit an den Geldterminmärkten eingepreiste Terminal Rate von gut 3,75% nicht erreicht. Vielmehr dürfte die Notenbank am Jahresende sogar unter Druck stehen, die Geldpolitik wieder zu lockern. Behalten wir recht, befindet sich die Eurozone dann immer noch in der Rezession, während die Inflation dem EZB-Ziel nahe ist. 

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