EZB: fauler Kompromiss

Einmal mehr hat die EZB in der vergangenen Woche eine kuriose Entscheidung getroffen. Bereits im Vorfeld der jüngsten Notenbanksitzung haben die Frankfurter Währungshüter den Pfad einer modernen Geldpolitik verlassen. Heutzutage ist es üblich, den nächsten Schritt spätestens kurz vor dem anstehenden Notenbanktreffen zu avisieren. Schliesslich sollen die Marktteilnehmer nicht überrascht und somit keine unnötigen Volatilitäten hervorgerufen werden. Dieses Mal liess die EZB aber alle aussenstehenden Beobachter bis vor Toresschluss im Unklaren darüber, ob ein weiterer Zinsschritt erfolgen wird oder nicht.

Mittlerweile ist auch klar, warum: Durch den EZB-Rat geht ein tiefer Riss. Ein bedeutender Teil der Währungshüter wollte in der vergangenen Woche abwarten und eine Leitzinspause einlegen. Die Falken hatten dagegen grosses Interesse daran, ein klares Zeichen der Inflationsbekämpfung zu setzen. Der Kompromiss bestand darin, den Leitzins nochmals um 25 Bp anzuheben, aber gleichzeitig das Ende der geldpolitischen Straffung zu avisieren. Die »taubenhafte Leitzinsanhebung« war geboren.

Mit diesem Vorgehen läuft die EZB jedoch Gefahr, dass der restriktive Impuls verpufft. Genau dies ist am vergangenen Donnerstag passiert. Noch während der Pressekonferenz von Christine Lagarde sind die Leitzinserwartungen und damit auch die Anleihenrenditen gefallen. Gleichzeitig haben die Aktienmärkte das voraussichtliche Ende der gelpolitischen Straffungen mit einem Kursfeuerwerk begrüsst. Die Finanzierungskonditionen haben sich im ersten Moment also gelockert und nicht gestrafft. Dass die Renditen zum Wochenschluss dann doch noch angestiegen sind, hatte andere Gründe (anziehender Ölpreis und freundliche Daten aus China).

Selbst aus Sicht der Falken wäre es vermutlich besser gewesen, erst einmal stillzuhalten, aber gleichzeitig das Damoklesschwert weiterer Straffungen über den Märkten schweben zu lassen. Dies hätte vermutlich einen grösseren restriktiven Effekt erzeugt als der nunmehr gefundene Kompromiss einer taubenhaften Leitzinsanhebung. 

Lagarde versuchte auf andere Weise, die Erwartungen zu steuern. Sie betonte mehrfach, Leitzinssenkungen stünden auf absehbare Zeit nicht auf der Agenda. Diese Form der langfristigen Forward Guidance hat jedoch in den vergangenen Jahren an Glaubwürdigkeit verloren. So behauptete Lagarde noch Ende 2021, dass es 2022 keine Leitzinsanhebungen geben wird, um nur wenige Monate später eine 180-Grad-Wende zu vollziehen.

Welche Richtung die Leitzinsen in den nächsten Monaten nehmen werden, hängt von den Konjunktur- und Inflationsdaten ab. In dieser Hinsicht deutet sich ein Umfeld an, dass den geldpolitischen Tauben in die Hände spielt. Alle offiziellen Konjunkturdaten zeichnen für die nächsten Monate eine wirtschaftliche Abschwächung vor, d.h. mit grosser Wahrscheinlichkeit wird die Eurozone in eine Rezession rutschen. Gleichzeitig dürfte die Kerninflationsrate in beschleunigtem Tempo fallen. Aus unserer Sicht wird die Kernteuerung Ende 2023 bei nur noch 3,5% liegen (aktuell: 5,3%). Damit nähert sich die Inflation mit grossen Schritten dem EZB-Ziel an, was weitere Leitzinsanhebungen obsolet macht. Stattdessen ist der Boden für gelpolitische Lockerungen im 1. Halbjahr 2024 bereitet. 

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