Die wichtigsten Ergebnisse
Die Leitzinssätze wurden auf der Sitzung am 15. Juni um 25 Bp auf 3,50% (Einlagensatz) bzw. 4,00% (Hauptrefinanzierungssatz) angehoben. Für Juli wird ein weiterer Zinsschritt in Aussicht gestellt.
Unsere Einschätzung
Nach der insgesamt achten Zinsanhebung in Folge zeichnet sich noch immer kein Ende der Straffung ab, obwohl die Währungshüter erste Anzeichen eines nachlassenden unterliegenden Preisauftriebs ausmachen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde kündigte eine weitere Zinsanhebung im Juli de facto an. Die nach oben revidierten Inflationsprojektionen liessen der EZB keine andere Wahl, als weiter zu straffen (vgl. Tabelle 1). Lagarde verwies auch darauf, dass die bis dato erfolgten Zinsanhebungen allmählich auf die Wirtschaft im Euroraum durchschlagen. Die Geldpolitik wirkt mithin bereits restriktiv. Wie Anfang Mai in Aussicht gestellt, werden fällige Wertpapiere aus dem Asset Purchase Programme (APP) ab Juli nicht mehr reinvestiert.
Inklusive der heutigen Entscheidung wurden die Leitzinsen seit Juni 2022 um 400 Bp nach oben geführt. Eine derartige Verschärfung der Finanzierungskonditionen kann unserer Einschätzung nach nicht ohne Auswirkungen auf die Konjunktur bleiben. Umso überraschender ist daher, dass die EZB-Projektionen für den quartalsweisen BIP-Zuwachs 2023 und 2024 (0,3% bis 0,4%) gegenüber den März-Projektionen gänzlich unverändert geblieben sind.
Wir halten die unterstellte Konjunkturbelebung in den kommenden Quartalen für zu optimistisch und erwarten stattdessen einen weiteren Rückgang der Wirtschaftsleistung. Die Währungshüter werden unserer Ansicht nach daher nicht umhinkommen, ihre BIP-Prognose für 2023 und 2024 wieder spürbar zu senken.
Davon abgesehen geht die Revision der Inflationsprojektionen in unseren Augen in die falsche Richtung. Die Inflation wird in den kommenden Monaten erheblich zurückgehen. Hierauf deutet eine wachsende Zahl von Frühindikatoren hin, darunter Erzeuger- und Grosshandelspreise sowie Absatzpreiserwartungen. Wir prognostizieren für 2024 sogar ein zeitweises Unterschreiten des EZB-Zielwerts von 2,0%. Verantwortlich sind starke disinflationäre Impulse von den Gas- und Strompreisen sowie von den Nahrungsmittelpreisen. Lagarde begründete die Aufwärtsrevision der Kerninflationsprognose für 2024 von 2,5% auf 3,0% mit der robusten Arbeitsmarktentwicklung sowie der Annahme stärker steigender Lohnstückkosten. Allerdings wurde die entsprechende Prognose nur marginal von 3,2% auf 3,4% angehoben.
Die jüngste Zinsentscheidung sendet widersprüchliche Signale. In Summe vermittelt der Ausblick der EZB den Eindruck, als hätte die schärfste Straffung der Geldpolitik seit 50 Jahren keinen negativen Einfluss auf Konjunktur und Arbeitsmarkt, wohl aber einen dämpfenden Effekt auf die Inflation. Wir hatten auf Basis unserer Analysen mit einer deutlichen Abwärtsrevision der BIP- und der Inflationsprognosen der Notenbank für 2024 gerechnet. Nun scheint ein Zinsschritt im Juli sehr wahrscheinlich. Selbst im September könnte es noch eine Erhöhung geben, sollten die Währungshüter auch dann noch an ihren zu optimistischen BIP-Prognosen bzw. an den zu hohen Inflationsprognosen festhalten. Wir rechnen daher mit mindestens einem weiteren Zinsschritt um 25 Bp.
Tab. 1: EZB-Projektionen vom Juni 2023
Quelle: EZB, * Jahresdurchschnitt, in Klammern Projektionen vom März 2023