Die USA sind Europa beim Wachstum enteilt – aber nicht für immer

Die Konjunktur diesseits und jenseits des Atlantiks geht derzeit getrennte Wege. Das haben die Daten der vergangenen Woche unterstrichen. So sackte der Composite-EMI der Eurozone im August von 48,6 auf 47,0 Punkte ab, womit er für das laufende Quartal einen namhaften Rückgang beim BIP signalisiert. Die Ergebnisse machen deutlich, dass nicht nur die Industrieschwäche anhält, sondern der Servicesektor mit in den Abwärtsstrudel gerät. Schwache Export- und Immobiliendaten sowie eine Stagnation beim Verbrauchervertrauen runden das Bild ab.  

In den USA sieht es zwar im verarbeitenden Gewerbe nicht viel besser aus als in Europa. Die Einkaufsmanagerindikatoren haben sich ebenfalls unterhalb der Expansionsschwelle festgesetzt. Allerdings ist bislang der Investitionseinbruch ausgeblieben und der Konsum läuft immer noch rund, was nicht zuletzt am boomenden Arbeitsmarkt liegt. Das BIP sollte daher im 3. Quartal erneut um 2,0% bis 3,0% expandieren (annualisiert und im Vergleich zum Vorquartal). 

In annualisierter Rechnung dürfte sich mithin die Wachstumsdifferenz zwischen den USA und der Eurozone aktuell auf 3%- bis 4%-Prozentpunkte belaufen – im 1. Halbjahr 2023 lag sie bei rund 1,5%-Punkten. Ein Grund für diese Divergenz ist sicherlich die unerwartete Schwäche der chinesischen Wirtschaft, worunter speziell die exportabhängige europäische Wirtschaft leidet. Daneben schlagen sich aber in der jüngsten Entwicklung zweifellos auch die kräftigeren Fiskalimpulse der USA nieder, die den US-Konsumenten während der Corona-Pandemie einen grösseren Sparüberhang bescherten als den Privathaushalten in Europa.

Die wachsende Schere in der Konjunkturentwicklung hat fraglos Konsequenzen für die Geldpolitik. Die Fed ist im globalen Zinserhöhungszyklus ein Vorreiter. Mit 5,25% bis 5,50% liegt der Leitzins bereits tief im restriktiven Bereich. Die US-Notenbank war daher dafür prädestiniert, auch das Ende der monetären Straffungen einzuläuten. Angesichts der robusten Datenlage bleibt der Fed aber vorerst nichts anderes übrig, als beim falkenhaften Ton zu bleiben und zumindest eine weitere Leitzinsanhebung in Aussicht zu stellen. 

Die EZB hinkte der Fed zunächst hinterher. Bis vor Kurzem schienen somit mehrere Straffungen unvermeidbar. Inzwischen hat sich der Ton aber geändert und es spricht viel dafür, dass die EZB bereits bei 3,75% den Hochpunkt erreicht hat. In Anbetracht dessen überrascht es nicht, dass Bundesanleihen den jüngsten Aufwärtstrend der Treasury-Renditen nur halbherzig nachvollzogen haben. Der Spread zwischen Treasury- und Bund-Renditen (10 Jahre) hat sich entsprechend seit Mitte April von 100 Bp auf knapp 175 Bp ausgeweitet. Das hat wiederum die relative Attraktivität des US-Dollars erhöht. Für einen Euro bekommt man derzeit nur noch 1,08 USD – Mitte Juli waren es noch 1,13 USD.

Dass die Konjunktur in den USA und Europa über längere Zeit getrennte Wege geht, ist unwahrscheinlich. Die Frage ist jedoch, in welche Richtung die Konvergenz stattfindet. Der Konsensus geht davon aus, dass sich die Wirtschaft der Eurozone in den nächsten Quartalen belebt und somit allmählich zur US-Konjunktur aufschliesst. Wir sehen es genau umgekehrt. Die restriktiven geldpolitischen Impulse sollten sich spätestens Anfang 2024 auch in den USA deutlich bemerkbar machen und die dortige Konjunktur abwürgen. Bereits im Vorfeld dürften die Spekulationen über US-Leitzinssenkungen wieder zunehmen. Die Treasury-Renditen sollten daher in den nächsten Wochen in einen Abwärtstrend einschwenken. In diesem Zuge dürfte sich auch der Spread zu Bundesanleihen wieder verringern. Es bleibt indes fraglich, ob dies dem USD schadet, da er zugleich von der weltwirtschaftlichen Unsicherheit profitieren wird.

Rechtlicher Hinweis

Die in diesem Beitrag gegebenen Informationen, Kommentare und Analysen dienen nur zu Informationszwecken und stellen weder eine Anlageberatung noch eine Empfehlung oder Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Anlageinstrumenten dar. Die hier dargestellten Informationen stützen sich auf Berichte und Auswertungen öffentlich zugänglicher Quellen. Obwohl die Bantleon AG der Auffassung ist, dass die Angaben auf verlässlichen Quellen beruhen, kann sie für die Qualität, Richtigkeit, Aktualität oder Vollständigkeit der Angaben keine Gewährleistung übernehmen. Eine Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die sich aus der Nutzung dieser Angaben ergeben, wird ausgeschlossen. Die Wertentwicklung der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf die künftige Wertentwicklung zu.

nach oben