Damit hatte kaum jemand gerechnet: Die Bundesrepublik Deutschland stellt nach 17 Jahren die Emission von inflationsindexierten Anleihen (Linker) ein. Tatsächlich kommt diese Entscheidung zu einem ungünstigen Zeitpunkt, sendet falsche Signale und ist kurzsichtig: Seit März 2022 emittiert die Deutsche Finanzagentur wieder Linker mit einer Breakeven-Rendite – dem Maß der von den Investoren erwarteten Inflationsrate – oberhalb des EZB-Inflationsziels von 2,0%. Die Finanzmärkte sind gemessen an den langfristigen Inflationswartungen in ein Umfeld zurückgekehrt, das mit der Zeit vor der Finanzkrise von 2008 vergleichbar ist. Eine Fortführung von Linker-Emissionen würde mittelfristig die laufzeitgewichtete Breakeven-Rendite der vier ausstehenden Emissionen, welche bei 1,57% liegt, wieder in Richtung des EZB-Inflationsziels verschieben. Mit der Einstellung der Neuemissionen friert der Bund den Einstandssatz unterhalb des EZB-Inflationsziels ein. Wenn die EZB erfolgreich ist und das Inflationsziel bis zur Rückzahlung des letzten deutschen Linkers im Jahr 2046 trifft, kostet dies den Bund ohne Einbeziehung von Zins und Zinseszins 2,7 Mrd. Euro. Verfehlt die EZB dagegen ihr Stabilitätsziel nach oben, wird es teurer. Eine Fortführung der Emissionen würde den durchschnittlichen Emissionssatz verbessern und einen kostengünstigeren Ausstieg ermöglichen.
Der Rückzug aus dem Linker-Markt zum aktuellen Zeitpunkt lässt vermuten, dass die Politik langfristig eine höhere Inflation als der Markt erwartet und die Emissionstätigkeit deshalb beendet, um noch größeren Schaden abzuwenden. Dieses Argument würde die EZB massiv bestreiten. Doch selbst wenn die Inflation langfristig aufgrund des demografischen Wandels, der Deglobalisierung, höherer staatlicher Defizite und der Dekarbonisierung der Wirtschaft oberhalb des aktuellen EZB-Stabilitätsziels liegen würde, hätte dies auch einen Anstieg der Nominalzinsen zur Folge. Die Bundesrepublik Deutschland kann sich durch den Wechsel einer Finanzierungform dem Kapitalmarktumfeld also nicht entziehen. Bundesfinanzminister Christian Lindner eliminiert mit seiner Entscheidung ein Benchmark-Finanzierungsinstrument, welches der Notenbank wichtige marktbasierte Signale aufzeigt. Langfristige Inflationserwartungen wurden im Jahr 2022 anlässlich der EZB-Konferenz im portugiesischen Sintra nicht ohne Grund thematisiert.
Die Inflation in der Eurozone wird im Jahr 2024 gemäß unseren Prognosen auf dem EZB-Ziel von 2,0% liegen. Die EZB erwartet ihren im September 2023 vorgestellten Projektionen zufolge jedoch eine Inflationsrate von 3,2%. Aller Voraussicht nach wird sie diese Prognose jedoch bereits im Dezember weiter nach unten revidieren müssen. Pfeiler unserer eigenen Prognose ist ein Rückgang der Nahrungsmittelpreise in der Eurozone von 5,5% in diesem Jahr auf rund 2,0% im kommenden Jahr. Der Wachstumsbeitrag zur Gesamtinflationsrate wird sich damit von 1,9%-Punkten auf rund 0,2%-Punkte verringern. Die EZB hat rückblickend offensichtlich zu spät auf den Inflationsanstieg reagiert. Inzwischen ist sie aber auf gutem Weg, durch entschlossenes Handeln das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen. Bereits 2024 dürfte das Inflationsziel wieder weitgehend eingehalten werden. Es gibt keinen Anlass, dies für die Zukunft infrage zu stellen.