Eurozone verlässt hintere Plätze
Die Eurozone ist 2023 das Sorgenkind der Weltwirtschaft gewesen: Das BIP stagnierte – im 2. Halbjahr sackte die Währungsunion gar in eine milde Rezession ab. Ganz anders sah es in den USA aus. Hier legte das Wachstum in der 2. Jahreshälfte auf über 3% zu (sowohl im Quartals- als auch im Vorjahresvergleich, siehe Abb. 1). Ende 2023 hatte der Wachstumsvorsprung der USA somit ein Maximum von 3%-Punkten erreicht.
Abb. 1: US-Vorsprung hat Gipfel durchschritten
Quellen: BEA, Eurostat, Bantleon
Die Underperformance der Eurozone hat auch an den Finanzmärkten Spuren hinterlassen: Der traditionelle Discount europäischer gegenüber amerikanischen Aktien pendelte bis zuletzt in der Nähe langjähriger Höchststände. Gleiches gilt für den Renditeabschlag deutscher Bundesanleihen gegenüber US-Treasuries (vgl. Abb. 2). Zudem ist der Euro seit Anfang 2023 mit rund 1,08 USD/EUR niedrig bewertet (langjähriger Durchschnitt = 1,19).
Im 1. Quartal 2024 scheint der Wind jedoch gedreht zu haben. Während der BIP-Zuwachs in den USA mit 1,6% enttäuschte, überraschte er in der Eurozone mit 1,3% positiv (jeweils annualisiert und im Vergleich zum Vorquartal). Mithin liegen die Wachstumsraten so eng beieinander wie seit Mitte 2022 nicht mehr. Die Expansionsbeschleunigung war dabei in der Eurozone regional breit fundiert – sie reichte von Spanien über Deutschland bis nach Lettland. Handelt es sich dabei um eine Eintagsfliege oder einen neuen Trend?
Abb. 2: Eurozone aus Anlegersicht unattraktiv
Quellen: Bloomberg, Bantleon; * gemessen am Shiller-KGV
Mehr als nur einzelne Hoffnungsschimmer
Zieht man als erste Orientierung den Composite-Einkaufsmanagerindex zu Rate, dürfte der Schwung in der Eurozone im 2. Quartal weiter zunehmen. Das Barometer, das eng mit dem BIP-Wachstum korreliert ist, hatte mit 51,3 Punkten im April einen neuen zyklischen Höchststand erreicht.
Aber auch andere Faktoren sprechen für eine Fortsetzung des Aufwärtstrends, und zwar sowohl in Kern-europa als auch in der Peripherie. So litt Deutschland im vergangenen Jahr besonders unter der globalen Industriekrise. Mittlerweile ist hier jedoch Licht am Ende des Tunnels zu sehen (vgl. unsere Analyse zur globalen Industrie vom 11. April 2024). Weltweit werden die Vorratsbestände aufgestockt – speziell in den vorgelagerten Industriezweigen (Chemie, Halbleiter etc.). In der Folge ist der globale Einkaufsmanagerindex der Industrie wieder über die 50-Punkte-Marke geklettert. Auch die OECD Leading Indicators, die Wendepunkte in der Industrie antizipieren sollen, signalisieren eine Erholung (vgl. Abb. 3). Somit dürfte selbst der »kranke Mann Europas« die Intensivstation in den nächsten Quartalen verlassen.
Abb. 3: Industriekrise scheint überwunden
Quellen: CPB, OECD, Bantleon
Bereits einen Schritt weiter sind die südeuropäischen Länder – allen voran Spanien, dessen Wachstumsrate der 3%-Marke zustrebt. Hier hat sich inzwischen eine positive Aufwärtsspirale etabliert, bei der sich ein brummender Arbeitsmarkt, hohes Lohnwachstum und eine anziehende Konsumnachfrage gegenseitig befruchten. Als i-Tüpfelchen kommt der florierende Tourismussektor hinzu (vgl. Abb. 4). Ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit nicht absehbar. Das Expansionstempo dürfte entsprechend in Spanien, Italien, Portugal und Griechenland vorerst hoch bleiben, selbst wenn die Regierungen in der Fiskalpolitik 2024 etwas den Fuß vom Gaspedal nehmen müssen.
Abb. 4: Hotelgäste kehren in Scharen zurück
Quellen: INE, Istat, Bantleon
Europa und USA konvergieren beim Wachstum
Alles in allem ist der moderate BIP-Zuwachs der Eurozone im 1. Quartal wohl mehr als nur eine kurze Episode. Es gibt zwar immer noch konjunkturelle Bremsfaktoren – etwa die restriktive Geldpolitik –, dennoch dürfte das Expansionstempo der Währungsunion im Laufe des Jahres leicht zulegen. Wir gehen davon aus, dass sich das BIP-Wachstum in annualisierter Rechnung in den nächsten Quartalen bei gut 1,5% einpendeln wird – zu Beginn des Jahres hatten wir lediglich rund 1,0% unterstellt. Dies ist weiterhin kein Boom, immerhin wird damit aber das Potenzialwachstum (ca. 1,0%) übertroffen.
Im Gegensatz dazu sprechen in den USA zahlreiche Argumente für ein nachlassendes Momentum. Der Konsumboom der vergangenen Quartale wurde vor allem aus Ersparnissen und Krediten finanziert. Nunmehr ist jedoch der Sparstrumpf aus Pandemiezeiten weitgehend geleert, gleichzeitig steigen die Zinslastquoten aus den Hypotheken- und Konsumentenkrediten. Der Konsumboom neigt sich damit dem Ende zu. In der Folge dürfte das Wachstum zum Jahresende hin unter die Potenzialrate (1,5% bis 2,0%) fallen. Fraglos hat diese drohende Abschwächung in den USA auch Rückwirkungen auf den Export der Eurozone. Solange die Vereinigten Staaten aber nicht in die Rezession fallen, dürfte dies den europäischen Aufwärtstrend nur dämpfen, aber nicht abwürgen.
Auch an den Finanzmärkten gewinnt die Eurozone an Attraktivität
Aufgrund des Wechsels in den Konjunkturtrends werden die Karten an den Finanzmärkten neu gemischt. Verringert sich der Wachstumsvorsprung der USA gegenüber der Eurozone, schmilzt gleichzeitig das Outperformancepotenzial am Aktienmarkt wie Abb. 5 unterstreicht. Wir sind daher mit Blick auf die kommenden Monate für europäische Aktien zuversichtlicher gestimmt als für US-amerikanische Valoren und empfehlen eine Übergewichtung des alten Kontinents. Allen voran dürften zyklische Titel (speziell aus den Branchen Industrie, Luxuskonsum und Grundstoffe) und Small/Mid Caps outperformen.
Abb. 5: Europäische Aktien mit Aufholpotenzial
Quellen: Bloomberg, Destatis, BEA, Bantleon
Komplexer sieht die Lage bei Staatsanleihen aus. Hier war zuletzt nicht die Konjunktur, sondern die Inflation auschlaggebend. Mithin hat der ins Stocken geratene Disinflationstrend in den USA speziell US-Treasuries belastet. Dies hat zwar auch auf deutsche Bundesanleihen negativ ausgestrahlt. Die weiter fallenden Inflationszahlen der Eurozone haben hier aber die Zinssenkungsfantasie am Leben gehalten und stärkere Verluste verhindert. An dieser Konstellation dürfte sich kurzfristig nichts ändern.
Mittelfristig sollte aber die Fed auf die Wachstumsabschwächung mit namhaften monetären Lockerungen reagieren. Auf Sicht von sechs bis neun Monaten ist daher das Potenzial für Renditerückgänge in den USA grösser als in der Eurozone. US-Treasuries (10 Jahre) sollten bis zum Jahresende um 100 Basispunkte, deutsche Bundesanleihen maximal um 50 Basispunkte tiefer rentieren als heute. In Zuge der abschmelzenden Renditedifferenz dürfte dann auch der USD unter Druck geraten.
Fazit: Europa ist nicht mehr das hässliche Entlein
Alles in allem hat die Eurozone die konjunkturelle Trendwende vollzogen. Auch wenn sich nach wie vor kein spektakulärer Aufschwung abzeichnet, sind moderate Zuwachsraten jenseits der 1,0%-Marke möglich. In den USA ist dagegen der Wachstumsgipfel überschritten. In Zukunft müssen dort kleinere Brötchen gebacken werden. Auf dieses neue Umfeld haben sich die Finanzmärkte noch nicht eingestellt. Mit Blick voraus empfehlen wir daher, bei Risikoassets Europa gegenüber den USA überzugewichten. Bei Staatsanleihen dürften dagegen perspektivisch US-Treasuries die bessere Wahl sein.