Kommentar
12. September 2022

Lagardes Zinsausblick mit Vorsicht geniessen!

Die EZB hat in der vergangenen Woche das Ruder herumgeworfen. Plötzlich haben auch die Währungshüter in Frankfurt erkannt, dass eine Teuerungsrate von über 9,0% viel zu hoch ist. Laut des geldpolitischen Statements müsse alles dafür getan werden, um die Inflation wieder in Richtung 2,0% zurückzuführen. Allen voran sollen die Leitzinsen möglichst schnell angehoben werden. Wo genau das Zielniveau liegt, liess EZB-Präsidentin Christine Lagarde zwar offen. Man sei aber noch ein gutes Stück davon entfernt.  

Folgerichtig entschied sich der EZB-Rat am vergangenen Donnerstag für einen grossen Zinsschritt um 75 Bp und kündigte für die kommenden Sitzungen weitere namhafte Straffungen an. Laut Lagarde werde noch mindestens auf den nächsten zwei bis drei Notenbanktreffen angehoben – also möglicherweise bis ins kommende Frühjahr hinein. 

In die Zukunft gerichtete Aussagen von Lagarde sollten jedoch mit grosser Vorsicht genossen werden. Erinnert sei nochmals daran, dass sie zu Jahresbeginn, Leitzinserhöhungen im Jahr 2022 für nahezu ausgeschlossen hielt. Dann wurde im Juni doch eine vorsichtige Leitzinswende in Aussicht gestellt – mit Schritten von 25 Bp (Juli) und 50 Bp (September). Wie sich jetzt zeigte, musste auch das korrigiert werden. 

Das weitere Vorgehen hängt also weniger von den aktuellen EZB-Plänen, sondern vielmehr von den Daten der nächsten Wochen ab. Derzeit besitzen die Notenbanken unter anderem deshalb grossen Spielraum in der Zinspolitik, weil das konjunkturelle Umfeld noch relativ stabil ist. Im 1. Halbjahr 2022 ist die Wirtschaft der Eurozone sogar kräftig gewachsen und auch im laufenden Vierteljahr ist nochmals ein kleiner BIP-Zuwachs möglich. In den nächsten zwei Quartalen geht die EZB dann von einer Stagnation der Wirtschaftsleistung aus. 

Das halten wir allerdings für viel zu optimistisch. Die Unternehmen sehen sich derzeit auf allen Ebenen – Zinsen, Rohstoffe, Energie, Löhne – mit steigenden Kosten konfrontiert. Die Gewinnmargen stehen entsprechend unter enormem Druck. Erste Unternehmen haben bereits das Handtuch geworfen oder zumindest die Produktion gedrosselt, weil sie nicht mehr rentabel fertigen können. Gleichzeitig sind die Konsumenten 2022 mit einer durchschnittlichen Inflation von 8% konfrontiert, während ihr verfügbares Einkommen lediglich um etwa 5% expandieren wird.

Zwar werden jetzt staatliche Hilfen in Aussicht gestellt, vom Volumen her dürften sie aber die Belastungen nicht kompensieren. Ausserdem kommen viele Massnahmen schlichtweg zu spät. Aus unserer Sicht führt somit in der Eurozone kein Weg an einer Rezession vorbei. Sie dürfte Ende 2022 beginnen und bis mindestens Mitte 2023 anhalten.

In einem solchen rezessiven Umfeld wird die EZB den Prozess der monetären Straffungen stoppen. Mithin hat die Geldpolitik ihre Mission erfüllt, die Nachfrage stark einzubremsen, um den Inflationsdruck zu mindern. Würde die EZB weiter nachlegen, kann sich aus der Rezession schnell eine Depression entwickeln. Wir rechnen daher Ende 2022 mit dem Leitzinshochpunkt bei 1,50%. Die Investoren an den Geldterminmärkten gehen indes davon aus, dass die EZB 2023 weitermacht und den Leitzins bis auf 2,50% anhebt. Sollten wir recht behalten, sind somit Auspreisungen von monetären Straffungen unumgänglich. Dies wird zugleich Abwärtsdruck auf die Renditen auslösen. Entsprechend gehen wir davon aus, dass die Renditen 10-jähriger Bundesanleihen im Laufe des kommenden Jahres wieder erkennbar unter 1,00% fallen. 

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