Kommentar
18. Juli 2022

Hohe Gaspreise treffen Unternehmen und private Haushalte

Mit Blick auf die Gasversorgung in der Eurozone fokussiert sich die öffentliche Diskussion nach wie vor auf das Risiko eines Lieferstopps russischen Erdgases. Im Brennpunkt steht dabei die Ostseepipeline Nordstream 1. Sollte der Gasfluss auch nach Beendigung der planmässigen Wartungsarbeiten am 21. Juli dauerhaft ausbleiben, wäre eine Rezession unausweichlich. 

Besonders hart träfe es Deutschland, das trotz aller Bemühungen und erzielten Fortschritte bei der Erschliessung alternativer Bezugsquellen noch immer auf grosse Mengen russischen Gases angewiesen ist. Die Bundesbank beispielsweise rechnet im Fall eines Lieferstopps für das 4. Quartal 2022 mit einem zwischenzeitlichen BIP-Absturz um 9%. 

Aber ganz unabhängig davon, ob wieder Gas über Nordstream 1 geliefert wird, haben sich die konjunkturellen Perspektiven zuletzt merklich eingetrübt. Hintergrund sind die drastisch reduzierten Liefermengen. Vor der wartungsbedingten Unterbrechung des Gasflusses kamen nur noch 25% der Menge in der Bundesrepublik an, die bis zum September 2021 geliefert wurde. Die Folge dieser Verknappung ist ein Anstieg des Gaspreises am Spotmarkt um 100% seit Mitte Juni 2022. Verglichen mit dem Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2019 hat sich der Preis damit mehr als verneunfacht (+830%).

Eine solche Preisexplosion stellt Unternehmen und private Haushalte vor enorme Herausforderungen. Insbesondere energieintensive Industriezweige wie Hersteller von Zement, Chemikalien, Papier, Glas und Keramik, für deren Produktion es derzeit keine Alternative zu Gas gibt, können bei den aktuellen Gaspreisen kaum noch wirtschaftlich arbeiten. Es ist mithin zu befürchten, dass sie ihre Produktion selbst dann zurückfahren, wenn Gas nicht rationiert werden muss. 

Auch die Konsumenten sehen sich mit massiv gestiegenen Heiz- und Stromkosten konfrontiert, die ihnen in gewaltigem Umfang Kaufkraft entziehen. Dabei steht insbesondere den deutschen Privathaushalten, von denen gut 50% mit Gas heizen, das Schlimmste noch bevor. Während beispielsweise belgische und niederländische Endabnehmer seit Ende 2020 etwa 200% mehr für ihre Gasrechnung berappen müssen, beträgt das Plus hierzulande bisher durchschnittlich »nur« 43%. 2023 ist von einem erneuten Anstieg der Endkundenpreise in Deutschland um mindestens 50% auszugehen. Da die Ausgangsbasis des Anstiegs allerdings viel höher ist bzw. das Gewicht am Warenkorb stark gestiegen ist, fällt die zusätzliche Belastung in Euro gerechnet erheblich grösser aus als 2022. Aus diesem Grund wirken weitere Gaspreisanstiege auch viel stärker inflationstreibend als bisher.

Ein rascher Rückgang der Teuerungsraten in Deutschland und der Eurozone wird mithin immer unwahrscheinlicher. Das Inflationsziel der EZB wird auch 2023 meilenweit übertroffen werden. Das stürzt die Notenbank in ein Dilemma: Soll sie die Zinsen trotz Konjunkturabschwungs zur Inflationsbekämpfung aggressiv anheben oder soll sie sich darauf verlassen, dass der Preisauftrieb infolge der wirtschaftlichen Durststrecke im Verlauf des nächsten Jahres und 2024 von allein abebbt? Wir gehen davon aus, dass sich der EZB-Rat für einen Mittelweg entscheidet: Spürbare Zinsanhebungen bis Ende dieses Jahres, dann jedoch vor dem Hintergrund von Null- oder Negativwachstum eine Zinsanhebungspause. Wir gehen daher davon aus, dass bei einem Einlagensatz von 0,75% bis 1,00% Schluss ist.

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