Kommentar
7. November 2022

Fed begeht den zweiten Fehler

Inzwischen ist es ein Gemeinplatz, dass die Notenbanken zu spät auf die heraufziehenden Inflationsgefahren reagiert haben. Noch Ende 2021, als die Teuerungsraten bereits auf 7,0% (USA) bzw. 5,0% (Eurozone) zusteuerten, hielten die Währungshüter an ihrem Mantra fest, dass alles nur temporär sei und die Inflation bereits 2022 wieder deutlich fallen werde. Als dann im Frühjahr für jedermann ersichtlich war, dass der Geist der Inflation aus der Flasche entwichen ist, konnte es speziell bei der Fed nicht schnell genug gehen. 

Die Leitzinsen wurden zwischen März und November 2022 im Rekordtempo von quasi 0,00% auf 4,00% in die Höhe geschraubt. Die Fed sieht sich zu diesem aggressiven Handeln gezwungen, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass sich die Inflationserwartungen aus der Verankerung lösen und eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt. Laut Jerome Powell ist die Geldpolitik auch noch nicht am Ziel angekommen. Die Leitzinsen müssten noch deutlicher in den restriktiven Bereich geführt werden. 

Das ursprüngliche Mantra der Notenbanken ist damit auf den Kopf gestellt. In den Augen der Währungshüter hat sich der lediglich temporäre Preisschub in einen hartnäckigen Aufwärtstrend verwandelt. So wie einst alle Argumente für nachhaltigen Teuerungsdruck ignoriert wurden, werden jetzt sämtliche Belege für eine baldige Abschwächung in den Wind geschlagen. 

Dabei gibt es stichhaltige Hinweise, dass die Inflation ihren Zenit erreicht hat. So liegen etwa die Rohstoffpreise inzwischen erkennbar (rund 20%) unter ihrem diesjährigen Höchststand. Allein wenn 2023 ein erneuter Energiepreisschock ausbleibt, wird dies die Teuerungsraten um mehrere Prozentpunkte nach unten drücken. Daneben sollten sich einige pandemiebedingte Preisschübe bald umkehren (etwa bei Gebrauchtwagen). 

Auch am US-Arbeitsmarkt gibt es zahlreiche Indizien für eine Abkühlung. Laut jüngstem Arbeitsmarktbericht fällt das Stellenplus zwar immer noch kräftig aus, der Schwung hat aber seit Jahresbeginn sichtbar nachgelassen. Daneben zeigt unter anderem der Trend bei den offenen Stellen und freiwilligen Kündigungen nach unten. Nach unserer Einschätzung werden sich diese Tendenzen in den nächsten Monaten verstärken. 

Im Unterschied zur Fed gehen wir nämlich davon aus, dass die USA nicht an einer Rezession vorbeischrammt, sondern ab der Jahreswende tief darin eintaucht. Die Unternehmen sehen sich nicht nur mit dem grössten Zinsschock seit Jahrzehnten, sondern zahlreichen weiteren Belastungsfaktoren konfrontiert. Die Gewinnmargen stehen mithin massiv unter Druck.

Alles in allem ist die Fed drauf und dran, den zweiten Fehler nacheinander zu begehen. So wie sie im vergangenen Jahr die heraufziehende Inflation unterschätzt hat, verkennt sie jetzt das Ausmass des Wirtschaftsabschwungs. Die nahende Rezession wird einerseits den Inflationsdruck erheblich mindern und andererseits die Arbeitslosenquote in die Höhe treiben. Der Fed dürfte in Anbetracht dessen nichts anderes übrigbleiben, als im kommenden Jahr die nächste 180 Grad-Wende zu vollziehen. So schnell wie sie die Zinsen nach oben geschleust hat, wird sie diese wieder senken. Für die Finanzmärkte bedeutet das: Auf den massiven Renditeanstieg 2022 wird 2023 ein spürbarer Renditerückgang folgen. Während Staatsanleihen in der Folge ein Comeback feiern, dürften die globalen Aktienkurse weiter spürbar nachgeben.

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