Kommentar
30. Mai 2022

Fallen die US-Renditen weiter?

Die Renditen US-amerikanischer Staatsanleihen haben in den vergangenen Wochen deutlich nachgegeben. Den Renditegipfel erreichten 10-jährige US-Treasuries am 9. Mai bei 3,20%. Seitdem geht es sukzessive abwärts. Zuletzt rentierten 10-jährige US-Staatsanleihen nur noch zwischen 2,70% und 2,80%. 

Diese Entwicklung spiegelt sich auch an den Geldterminmärkten wider. Sahen viele Investoren vor wenigen Wochen den Leitzinshochpunkt noch zwischen 3,50% und 3,60% (Mitte 2023), rechnen die Märkte inzwischen mit kaum mehr als 3,00%. Für das 2. Halbjahr 2023 werden bereits erste vorsichtige monetäre Lockerungen erwartet. 

Für das Auspreisen von Leitzinsanhebungen gibt es mehrere Gründe: Erstens haben die jüngsten schwachen Konjunkturdaten die Angst geschürt, dass es bereits 2022 zu einem scharfen Abschwung in den USA kommt. Zweitens scheint der Inflationsgipfel durchschritten. Im Mai gab etwa die Jahresrate des Kerndeflators der privaten Konsumausgaben – das bevorzugte Inflationsmass der Fed – zum zweiten Mal in Folge leicht nach (von 5,2% auf 4,9%). Drittens hat mit Raphael Bostic (Präsident der Atlanta-Fed) erstmals ein Vertreter der US-Notenbank eine Leitzinspause im September ins Spiel gebracht. 

Werden die US-Renditen also weiter nachgeben oder sich doch nochmal aufbäumen? Mit Blick auf die Inflation könnte es voreilig sein, die Trendwende bereits jetzt auszurufen. Ohne Zweifel gibt es Güter – wie Gebrauchtwagen –, für die ein nachlassender Teuerungsdruck vorgezeichnet ist. Diesen stehen jedoch Bereiche gegenüber, die sich noch mitten im Aufwärtstrend befinden (etwa Mieten, verschiedene Serviceleistungen, Nahrungsmittel). Schliesslich beginnt der anziehende Lohndruck, gerade erst wirksam zu werden. Im Ergebnis muss man sich darauf einstellen, dass die Inflation nur sehr langsam nachlässt und die Fed von dieser Seite weiter unter Druck steht.

Das Konjunkturbild ist nicht weniger komplex. Am US-Häusermarkt machen sich bereits erste negative Folgen der gestiegenen Zinsen bemerkbar. Die Wohnbauinvestitionen sind aber in der BIP-Statistik eher unbedeutend. Entscheidend ist stattdessen die Entwicklung der Konsumnachfrage. Und hier sprechen die meisten Faktoren (Arbeitsmarkt, Sparrücklagen, Nachholeffekte) nach wie vor für eine robuste Entwicklung. Einen Störfaktor stellen lediglich die Benzinpreise dar, die sich weiterhin im Aufwind befinden. Dies bleibt ein Risikofaktor, auch wenn wir davon ausgehen, dass sich die Lage hier in den nächsten Wochen entspannt. 

Alles in allem ist die Wahrscheinlichkeit immer noch hoch, dass die Fed bis zum Jahresende die Leitzinsen zügig auf 3,00% anhebt und damit die aktuellen Erwartungen übertrifft. Entsprechend sollten die Renditen 10 jähriger US-Treasuries nochmals in Richtung ihrer bisherigen Jahreshöchststände vorstossen.  

Klar ist aber auch, dass es sich dabei um das letzte Aufbäumen handeln dürfte. Im Verlauf von 2023 trüben sich die konjunkturellen Perspektiven definitiv ein. Die Nachholeffekte der Pandemie laufen dann aus. Gleichzeitig lasten die restriktiveren Finanzierungskonditionen zunehmend auf den Investitionen. In einem Abschwung, der die Wachstumsraten deutlich unter die Potenzialrate drückt, dürfte die Fed rasch einen Kurswechsel vollziehen und den Leitzinserhöhungsprozess beenden. 

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