
EZB-Prognosen sind mit grosser Vorsicht zu geniessen
Genau vor einem Jahr hat EZB-Chefin Christine Lagarde im Brustton der Überzeugung verkündet: »Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir die Leitzinsen 2022 anheben werden.« Dieser Aussage lag unter anderem die Prognose zugrunde, dass die Inflationsrate der Eurozone von damals 5,0% bis Ende 2022 auf 1,9% sinken werde. Bekanntermassen kam es ganz anders. Die Inflationsrate schnellte auf über 10,0% und die Leitzinsen wurden in kürzester Zeit so stark erhöht wie nie zuvor seit Beginn der Währungsunion: um 250 Bp.
Kann man der EZB mit Blick auf 2023 mehr vertrauen? Mittlerweile hat sich der Tenor von Lagarde komplett gedreht. Am vergangenen Donnerstag liess sie verlauten, die Inflation sei viel zu hoch, weshalb noch weitere signifikante Leitzinsanhebungen folgen müssten. Laut »internen Kreisen« der Notenbank sind damit mindestens drei 50-Bp-Schritte gemeint. Demnach wird für Mai ein Leitzinshochpunkt von 3,50% anvisiert. Bis vor kurzem hatten die Währungshüter – etwa der französische Notenbankpräsident – noch ein Niveau von ca. 2,50% für Mitte 2023 in den Raum gestellt.
Eine Ursache für diesen Kursschwenk ist, dass die EZB ihre Inflationsprognosen spürbar angehoben hat. Sie geht 2023 von einem vergleichsweise flachen Abwärtstrend bei der Inflation aus. Selbst Ende des kommenden Jahres soll die Teuerungsrate noch 3,6% betragen und im Mittel bei 6,3% liegen. Mit Blick auf die Konjunktur rechnen die Währungshüter nur mit einer milden Rezession und erwarten für 2023 immerhin ein BIP-Wachstum von 0,5%.
In unseren Augen ist die EZB damit beim Wachstum zu optimistisch und bei der Inflation zu pessimistisch. Nach unseren Berechnungen wird der Teuerungsdruck schneller nachlassen, als es die Notenbank unterstellt und die Inflationsrate sollte Ende 2023 wieder in der Nähe von 2,0% liegen. Insbesondere erwarten wir, dass der Energiepreisschock abebbt und die Unternehmen die Preise 2023 nicht mehr so leicht anheben können. Dies liegt nicht zuletzt an unserem skeptischen Konjunkturausblick. Der grösste Zins- und Kostenschock seit Jahrzehnten wird die Investitionstätigkeit und die Konsumnachfrage massiv belasten. Entsprechend rechnen wir im 1. Halbjahr 2023 mit einem spürbar schrumpfenden BIP.
Wir gehen daher davon aus, dass die EZB bereits im kommenden März ihre Makro-Projektionen nach unten anpassen muss. Das ganze Ausmass der Fehleinschätzung dürfte sich allerdings erst im Laufe des Jahres herauskristallisieren. Da sich die EZB nunmehr mit ihren Aussagen zu den Leitzinsen so stark gebunden hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie im Rahmen der nächsten beiden Sitzungen nochmals an der Zinsschraube dreht und somit die Depositenrate im März bei 3,00% liegt. Wenn sich unser Szenario einer ausgeprägten Rezession und schnell fallender Inflationsraten bewahrheitet, dürfte sie den letzten Schritt indes im 2. Halbjahr 2023 bereits wieder zurücknehmen und den Leitzins auf 2,50% senken.
Alles in allem spricht aus unserer Sicht viel dafür, dass die EZB das zweite Jahr in Folge deutlich danebenliegt – dieses Mal überschätzt sie den Inflationsdruck. Der Kurs der Notenbank dürfte somit am Ende weniger restriktiv ausfallen, als es die Notenbank derzeit postuliert. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass an den Geldterminmärkten Leitzinserhöhungen ausgepreist werden und die Renditen von Bundesanleihen 2023 über alle Laufzeiten hinweg wieder namhaft unter 2,00% fallen.
Rechtlicher Hinweis
Die in diesem Beitrag gegebenen Informationen, Kommentare und Analysen dienen nur zu Informationszwecken und stellen weder eine Anlageberatung noch eine Empfehlung oder Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Anlageinstrumenten dar. Die hier dargestellten Informationen stützen sich auf Berichte und Auswertungen öffentlich zugänglicher Quellen. Obwohl die Bantleon AG der Auffassung ist, dass die Angaben auf verlässlichen Quellen beruhen, kann sie für die Qualität, Richtigkeit, Aktualität oder Vollständigkeit der Angaben keine Gewährleistung übernehmen. Eine Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die sich aus der Nutzung dieser Angaben ergeben, wird ausgeschlossen. Die Wertentwicklung der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf die künftige Wertentwicklung zu.

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