Kommentar
22. Februar 2022

EZB könnte sich ein zweites Mal irren

Der Ukraine-Konflikt macht die Arbeit der Notenbanken – speziell der EZB – nicht einfacher. Eine umfassende russische Invasion in das Nachbarland würde nicht zuletzt schwere wirtschaftliche Folgen haben: Einerseits dürfte das Wachstum der Eurozone darunter leiden, andererseits die Inflation über steigende Energiepreise einen zusätzlichen Schub erfahren. Nicht nur aus Sicht der EZB bleibt daher zu hoffen, dass es zu dieser Eskalationsstufe nicht kommt und es bei dem jetzt beschlossenen Einmarsch in das relativ kleine – von den Separatisten besetzten – Gebiet bleibt. 

Auch ohne diesen Krisenherd ist das gelpolitische Umfeld bereits komplex genug. Das musste die EZB zu Jahresbeginn leidvoll erfahren, als die Teuerungsrate entgegen den Erwartungen auf einen Rekordwert von 5,1% gestiegen ist. Notenbankpräsidentin Christine Lagarde deutete daraufhin für März eine Revision der geldpolitischen Ausrichtung an. Einige Falken (z.B. Klaas Knot, Mārtiņš Kazāks, Joachim Nagel) aus dem EZB-Rat kündigten mehr oder weniger unverblümt eine schnellere Rückführung der Wertpapierkäufe und eine Leitzinserhöhung im Jahr 2022 an. Dieser Kursschwenk der EZB hinterliess an den Geldterminmärkten markante Spuren. Zwischenzeitlich wurde bereits für Juni 2022 eine kleine Leitzinserhöhung um 10 Bp eingepreist.

Dies ging den Tauben im EZB-Rat dann aber doch zu weit. Sie machten klar, dass nichts überstürzt werden sollte. Der französische Notenbankpräsident François Villeroy de Galhau liess etwa verlauten, er könne sich ein Ende der Wertpapierkäufe im 3. Quartal vorstellen. Danach sei eine Leitzinserhöhung zwar möglich, aber keineswegs sicher. Der graduelle Straffungsplan sorgte für eine gewisse Entspannung an den Geldterminmärkten. Der Zeitpunkt für die erste Leitzinserhöhung wanderte nach hinten.  

Die Glaubwürdigkeit dieser weit in die Zukunft reichenden Pläne der Notenbanken – auch Forward Guidance genannt – hat jedoch Kratzer bekommen. So rechnete die Fed noch im Sommer des vergangenen Jahres mit keiner Leitzinserhöhung im Jahr 2023. Mittlerweile sind sechs Straffungen an den Geldterminmärkten eingepreist. Wie oben bereits erwähnt, musste die EZB zuletzt bei den Plänen der Netto-Wertpapierkäufe einen Rückzieher machen. Sie werden schneller eingestellt als bislang beabsichtigt. 

Der Investor sollte sich daher auch nicht von den angekündigten graduellen Leitzinsanhebungen ins Bockshorn jagen lassen. Entscheidend für den künftigen Leitzinspfad ist nicht die Einschätzung einzelner EZB-Vertreter, sondern der Datenkranz der nächsten Monate und hier dürfte sich einiges zusammenbrauen. Die Inflationsrate der Eurozone sollte in den nächsten Monaten weiter in Richtung 5,5% ansteigen. Gleichzeitig wird das Auslaufen der Pandemie für einen Konsumboom sorgen. Das BIP dürfte im 2. Quartal und im 3. Quartal um 1,5% bis 2,0% zulegen. In der Folge wird die Arbeitslosenquote auf ein Rekordtief fallen. 

In Anbetracht dessen fragt man sich schon, warum noch bis zum Jahresende mit Leitzinsanhebungen gewartet werden soll und wieso nach wie vor Wertpapiere im Umfang von zig Mrd. Euro pro Monat gekauft werden?

Eine weitere Eskalation der Ukraine-Krise könnte dem oben skizierten Positivszenario einen Strich durch die Rechnung machen. Wenn sich Putin und Russland aber mit dem jetzigen Einmarsch begnügen und der Konflikt in den nächsten Wochen deeskaliert, dann steht die EZB unter enormem Druck, schneller aus der ultraexpansiven Geldpolitik auszusteigen als bislang beabsichtigt. Die Pläne zum graduellen Ausstieg werden dann schnell zu Makulatur.
 

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