
EZB gerät in immer grössere Zwickmühle
Als Russland im Sommer 2021 begann, seine Erdgaslieferungen in die EU zu reduzieren, reagierten die Gaspreise mit einem massiven Anstieg um mehr als 300% binnen weniger Monate. Besonders unerfreulich war das für die Privathaushalte der Eurozone, die sich mit heftigen Preissteigerungen durch ihre Versorgungsunternehmen konfrontiert sahen.
Ein grosser Teil der ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland konnte jedoch durch eine Ausweitung der Liefermengen aus anderen Ländern aufgefangen bzw. überkompensiert werden. So war es möglich, die Gasspeicher in der EU sogar schneller zu befüllen als in den Vorjahren. Gas ist mithin zwar deutlich teurer geworden, von einer Gasknappheit konnte jedoch keine Rede sein. Vor diesem Hintergrund schien 2022 eine solide, wenn auch wegen des Kaufkraftentzugs weniger dynamisch Konjunkturerholung in der Eurozone wahrscheinlich; auch dank der von den Konsumenten in den Pandemie-Jahren aufgebauten Überersparnisse sowie der Unterstützung durch die Fiskalpolitik.
Die jüngste Reduzierung der Liefermenge russischen Gases um weitere 60% deutet darauf hin, dass es der Kreml nicht mehr nur auf eine Maximierung seiner Einnahmen abgesehen hat, sondern auch auf die Beschädigung der europäischen Wirtschaft. Es ist daher zu befürchten, dass die Liefermengen entgegen den Beteuerungen aus Moskau dauerhaft niedrig bleiben. Die aktuelle Verknappung ist nicht mehr über alternative Bezugsquellen auszugleichen, womit die Befüllung der europäischen Gasspeicher für den Winter nur noch durch eine Reduzierung des laufenden Verbrauchs möglich ist. Das wird zu Produktionsausfällen in der Industrie führen, welche die erwartete Erholung der Produktion des verarbeitenden Gewerbes gefährden.
Davon abgesehen werden sich die seit Mitte Juni stark gestiegenen Grosshandelspreise für Gas höchstwahrscheinlich als dauerhaft herausstellen. Die privaten Haushalte müssen sich mithin auf einen weiteren Preisschub bei Gas und Strom einstellen. Das wird nicht ohne Konsequenzen für die Inflation in der Eurozone bleiben. Selbst im günstigsten Fall dürfte die Teuerungsrate im Herbst über 9% klettern. Im ungünstigsten Fall wird der Preisanstieg zweistellig ausfallen. Dieser neuerliche Teuerungsschub dürfte den privaten Konsum spürbar bremsen. Die Aussichten für die wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden Quartalen hat sich vor diesem Hintergrund eingetrübt. Vielmehr als eine Stagnation beim BIP-Zuwachs im 2. Halbjahr scheint nicht mehr möglich zu sein. Für 2023 bleiben die Aussichten ebenfalls eingetrübt.
Die EZB bringt das in eine Zwickmühle: Die weniger günstigen Konjunkturaussichten sprächen gegen eine Rücknahme des geldpolitischen Expansionsgrads, während die Aussicht auf zweistellige Inflationsraten bzw. ein jahrelanges Überschiessen des Inflationsziels nach spürbar steigenden Leitzinsen verlangt. Unserer Einschätzung nach wird die EZB in den sauren Apfel beissen und ein klares Signal zur Inflationsbekämpfung setzen. Zum einen angesichts des robusten Arbeitsmarkts – die Arbeitslosenquote der Eurozone befindet sich auf einem Rekordtief –, der die Gefahr birgt, eine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen. Zum anderen wegen des Risikos sich aus der Verankerung lösender Inflationserwartungen. Auf die beiden kommunizierten Leitzinsanhebungen im Juli (+25 Bp) und September (+50 Bp) dürften daher weitere Zinsschritte im Oktober und Dezember sowie im 1. Quartal 2023 folgen. Dies spricht auch dafür, dass die Renditen von Staatsanleihen kurzfristig nochmals steigen.
Rechtlicher Hinweis
Die in diesem Beitrag gegebenen Informationen, Kommentare und Analysen dienen nur zu Informationszwecken und stellen weder eine Anlageberatung noch eine Empfehlung oder Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Anlageinstrumenten dar. Die hier dargestellten Informationen stützen sich auf Berichte und Auswertungen öffentlich zugänglicher Quellen. Obwohl die Bantleon AG der Auffassung ist, dass die Angaben auf verlässlichen Quellen beruhen, kann sie für die Qualität, Richtigkeit, Aktualität oder Vollständigkeit der Angaben keine Gewährleistung übernehmen. Eine Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die sich aus der Nutzung dieser Angaben ergeben, wird ausgeschlossen. Die Wertentwicklung der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf die künftige Wertentwicklung zu.

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