Kommentar
20. Juni 2022

Die Notenbanken stehen vor einem Scherbenhaufen

Die Notenbanken kennen derzeit kein Halten mehr. Selbst die Schweizer Nationalbank hat nunmehr die Reissleine gezogen und in einer überraschenden Aktion den Leitzins um 50 Bp auf -0,25% erhöht. Das Risiko einer namhaften Franken-Aufwertung scheute sie dabei nicht – zu gross sind in ihren Augen die aktuellen Inflationsgefahren. 

Kurz vor der SNB setzte bereits die Fed ein Ausrufezeichen, indem sie den Leitzins um 75 Bp anhob – so stark wie seit 1994 nicht mehr. Im Juli dürfte gleich nochmals ein solch gewaltiger Schritt folgen. Für das Jahresende peilt die Notenbank ein Zinsniveau von knapp 3,50% an. Es wäre mithin der steilste Zinserhöhungspfad der Nachkriegszeit. Die EZB zögert noch, aber auch hier schiessen bereits Spekulationen ins Kraut, dass im September ein 75-Bp-Schritt erfolgen könnte, statt der avisierten 50 Bp. Für anhaltenden Druck in diese Richtung sorgen die Inflationsraten, die in den nächsten Monaten auf 9% zusteuern dürften. 

Mit ihrem verspäteten, dafür nunmehr aber umso aggressiveren Vorgehen haben die Notenbanken bereits eines erreicht: Die USA und Europa erleben einen der grössten Zinsschocks der Nachkriegszeit. Die Renditen 2-jähriger US-Treasuries sind innerhalb von nur neun Monaten um über 3%-Punkte nach oben geschossen. So etwas gab es seit Anfang der 1980er Jahre nicht mehr – und es wird nicht folgenlos für die Wirtschaft bleiben. 

In den USA steht der Immobilienmarkt bereits aufgrund der in die Höhe schnellenden Hypothekenzinsen unter Druck. In einigen Monaten werden überdies die Unternehmen ihre Investitionen zurückfahren. Nicht nur wegen der steigenden Zinsen, sondern auch wegen höherer Risikoprämien und einer grösseren Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe. Ausserdem belasten die anziehenden Lohnkosten, die wiederum eine unmittelbare Folge der hohen Inflationsraten sind. Die Bremseffekte sind so stark, dass in unseren Augen eine US-Rezession im Jahr 2023 sehr wahrscheinlich ist. Selbst Notenbankpräsident Jerome Powell will dies nicht ausschliessen, denn nach einem Zinsschock eine sanfte Ladung zu bewerkstelligen, gleicht einem Kunststück.  

Die Notenbanken stehen damit vor einem Scherbenhaufen. Während sie zunächst die Inflationsbekämpfung verschlafen haben, provozieren sie nunmehr einen heftigen Wirtschaftsabschwung. Im kommenden Jahr deutet sich somit bereits die nächste 180-Grad-Wende der Geldpolitik an. Dann müssen die Leitzinsen in Reaktion auf die Rezessionsgefahren rasch gesenkt werden. Mit dieser Schaukelpolitik leisten die Notenbanken keinen Stabilisierungsbeitrag, sondern verstärken die Wirtschaftszyklen sogar noch.  

Dies hat auch Folgen für die Finanzmärkte. Der Zinsschock hat die Volatilität massiv erhöht und eine Neubewertung an den Vermögensmärkten ausgelöst. Die einstigen Börsenlieblinge (Technologiewerte, High-Yields und Kryptowährungen) stehen vor dem Abgrund. Mehr noch, der Wirtschaftsabschwung im nächsten Jahr wird für neuen Gegenwind sorgen: Die Unternehmensgewinne stehen vor einer kräftigen Abwärtsrevision, was die Aktienmärkte weiter belasten wird.

Spätestens jetzt müssten die Notenbanken erkannt haben, dass sie mit ihrer langjährigen Null- und Negativzinspolitik mehr Schaden als Nutzen gestiftet haben. Eine Rückkehr zu einer weniger aktiven Rolle wäre angebracht. Doch die Hybris scheint ungebrochen: EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat bereits die Bekämpfung des Klimawandels fest im Visier. 

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