
Die EZB unterschätzt den einsetzenden Disinflationstrend
Der Rückgang der Inflationsrate in der Eurozone vom Rekordhoch bei 10,6% auf 10,0% im November wurde an den Märkten mit Erleichterung aufgenommen. Er schürt die Hoffnung, in Sachen Inflation könnte das Schlimmste nun vorbei sein und der Teuerungsschub in den kommenden Monaten spürbar an Kraft verlieren.
Die EZB ist davon allerdings nicht überzeugt. Notenbankpräsidentin Christine Lagarde äusserte sich mit den Worten, sie wäre überrascht, »wenn es das schon gewesen wäre mit der Inflation«. Sie glaube nicht, dass die Inflation ihren Hochpunkt im Oktober bereits erreicht hat. Ins gleiche Horn stösst der einflussreiche französische Notenbankpräsident François Villeroy de Galhau. Er geht davon aus, dass der Verbraucherpreisanstieg erst im 1. Halbjahr 2023 sein Maximum erreicht und im Anschluss abebbt.
Unserer Meinung nach unterschätzt die EZB dagegen die sich jetzt anbahnende Disinflation – so wie sie zuvor den Inflationsschub der vergangenen Quartale unterschätzt hatte. Tatsächlich hat die Inflation ihren Hochpunkt aller Wahrscheinlichkeit nach im Oktober erreicht. Zwar deutet sich für den laufenden Monat ein nochmaliger Anstieg der Teuerungsrate an, ab Januar dürfte es allerdings steil nach unten gehen. Bis März sollte sich der Verbraucherpreisanstieg auf unter 8,0% abschwächen, Mitte 2023 erwarten wir eine Inflationsrate von etwa 6,0% und bis Ende des nächsten Jahres scheint ein Rückgang in die Nähe des Inflationsziels der EZB bei 2,0% möglich.
Massgeblicher Treiber dieser Entwicklung sind die Energiepreise. Unseren Berechnungen zufolge werden sie im kommenden Jahr in etwa stagnieren, nachdem sie 2022 voraussichtlich um 38,0% zulegen. Ihren Hochpunkt hatte die Energiepreisinflation bereits im März des laufenden Jahres überschritten (+44,3%). Im November lag die Vorjahresrate noch bei 34,9%. Bei den Nahrungsmittelpreisen zeichnet sich ebenfalls eine baldige Trendwende ab. Darüber hinaus wird die Kerninflationsrate – ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel – im Verlauf des nächsten Jahres von aktuell 5,0% auf etwa 3,0% zurückgehen.
Die EZB dürfte 2023 mithin sowohl vom Tempo als auch vom Ausmass des Inflationsrückgangs überrascht werden. Das sollte nicht ohne Auswirkungen auf die Geldpolitik bleiben, zumal die EZB unserer Meinung nach auch die Schärfe der sich derzeit entfaltenden Rezession unterschätzt. Wir gehen daher davon aus, dass die Notenbank den Einlagensatz nicht deutlich in den restriktiven Bereich anheben wird, den sie oberhalb von 2,0% sieht. Die aktuellen Markerwartungen eines Leitzinshochs bei knapp 3,0% Mitte des nächsten Jahres sollten sich somit in den kommenden Quartalen zurückbilden. Parallel dazu werden die Renditen von Staatsanleihen auf einen Abwärtstrend einschwenken, der das Jahr 2023 prägen dürfte.
Dessen ungeachtet halten wir an unserer Einschätzung eines mittelfristig stärkeren unterliegenden Preisauftriebs fest. Wir gehen davon aus, dass die Inflation in der Eurozone in den kommenden Jahren im Durchschnitt oberhalb des Inflationsziels der EZB liegt – und nicht mehr darunter. Aus diesem Grund dürften die Währungshüter den nächsten Aufschwung, den wir 2024 erwarten, nutzen, um die Zinsen weiter nach oben zu führen. Früher oder später ist daher ein Leitzinsniveau von 3,00% oder sogar 4,00% realistisch. Allerdings nicht im nächsten Jahr.
Rechtlicher Hinweis
Die in diesem Beitrag gegebenen Informationen, Kommentare und Analysen dienen nur zu Informationszwecken und stellen weder eine Anlageberatung noch eine Empfehlung oder Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Anlageinstrumenten dar. Die hier dargestellten Informationen stützen sich auf Berichte und Auswertungen öffentlich zugänglicher Quellen. Obwohl die Bantleon AG der Auffassung ist, dass die Angaben auf verlässlichen Quellen beruhen, kann sie für die Qualität, Richtigkeit, Aktualität oder Vollständigkeit der Angaben keine Gewährleistung übernehmen. Eine Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die sich aus der Nutzung dieser Angaben ergeben, wird ausgeschlossen. Die Wertentwicklung der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf die künftige Wertentwicklung zu.

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