Analyse
7. März 2023

Comeback der Staatsanleihen: abgesagt oder nur verschoben?

Die Renditen von Staatsanleihen befinden sich seit Anfang Februar erneut im Höhenflug – speziell in der Eurozone. Ausschlaggebend dafür waren neben der hartnäckig hohen Inflation die zuletzt freundlicher als erwarteten Konjunkturdaten. Viele Investoren haben inzwischen alle Rezessionsängste ad acta gelegt. Dieser Optimismus dürfte sich jedoch als Trugschluss erweisen. In unseren Augen ist nach wie vor eine Rezession in der Eurozone das wahrscheinlichste Szenario im Jahr 2023. Entsprechend sollten auch die Renditen in den nächsten Monaten wieder in einen Abwärtstrend einschwenken. Das Risiko zu diesem Szenario sehen wir nicht im Ausbleiben der Rezession. Möglicherweise tritt der Abschwung jedoch erst im Laufe des 2. Halbjahrs offen zutage. In diesem Fall könnten die Renditen – ausgehend vom aktuellen Niveau – um weitere rund 0,5%-Punkte zulegen. Das würde beim Bondinvestor kurzfristig Schmerzen verursachen. Über das Gesamtjahr gesehen dürfte ein Portfolio an Bundesanleihen aber selbst in diesem Risikoszenario noch einen positiven Ertrag abwerfen.

Markt preist EZB-Leitzinshoch von 4,00% ein

Seit Anfang Februar erleben die Anleihenrenditen einen neuerlichen Höhenflug. Dies gilt speziell für kurze Laufzeiten. Die Renditen 2-jähriger deutscher Bundesanleihen sprangen von rund 2,50% auf 3,30% in die Höhe. An den Geldterminmärkten ist für den EZB-Leitzins (Depositenrate) mittlerweile ein Gipfel von über 4,00% eingepreist, Anfang Februar waren es nicht einmal 3,50% (vgl. Abb. 1). Dabei unterstellen die Investoren ausgehend von aktuell 2,50% in etwa folgende Leitzinsentwicklung: März: 3,00%, Mai: 3,50%, Juni/Juli: 3,75%, September/Oktober 4,00%.

Abb. 1: Leitzinserwartungen springen nach oben

Quellen: EZB, Bantleon; * abgeleitet aus EURIBOR-Futures

Grund für die nach oben geschnellten Leitzinserwartungen war eine Serie positiver Konjunkturüberraschungen. Gleichzeitig ist der Abwärtstrend bei der Inflation ins Stocken geraten. Im Februar erreichte die Kerninflationsrate der Eurozone einen Rekord von 5,6%. Daneben haben sich die Konjunkturbarometer kräftig verbessert. Der Composite-Einkaufsmanagerindex liegt mit 52 Punkten inzwischen über der Expansionsschwelle. Ohne Frage ist das Konjunkturbild zu Jahresbeginn besser als gedacht. Viele Analysten rechnen daher in der Eurozone mit keiner Rezession mehr, sondern gehen sogar von einer konjunkturellen Erholung aus. Sind die an den Geldterminmärkten eingepreisten Leitzinserwartungen somit fundiert und weitere Renditeanstiege vorgezeichnet?

Rezession bleibt wahrscheinlichstes Szenario

Wir bleiben mit Blick auf die Konjunktur skeptisch. Der grösste Zins- und Kostenschock seit Jahrzehnten wird nicht spurlos an der Wirtschaft der Eurozone vorbeigehen. Erinnert sei daran, dass sich z.B. die 10-jährigen Hypothekenzinsen in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten von rund 1,00% auf 4,00% vervierfacht haben. Europäische Unternehmen (Investment Grade), die Mitte 2021 am Kapitalmarkt noch Geld zum Nulltarif bekommen haben, müssen den Investoren bei mittlerer Laufzeit inzwischen über 4,00% Rendite bieten.

Abb. 2: Trübe Aussichten bis ins Jahr 2024

Quellen: S&P Global, Bantleon

Darüber hinaus liegen die Rohstoffpreise aktuell immer noch 40% höher als im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021 und das Lohnwachstum steuert erstmals seit Beginn der Währungsunion auf über 4% zu. Die Gewinnmargen der Unternehmen geraten somit von allen Seiten unter Druck, was sich negativ auf die Investitionstätigkeit in diesem Jahr auswirken wird. Die angekündigten Sparprogramme zahlreicher Konzerne (z.B. BASF, SAP, Ford) liefern einen Vorgeschmack darauf. Die sich verschlechternden
finanziellen Rahmenbedingungen spiegeln sich auch in unseren Frühindikatoren wie dem Financial Conditions Indicator, der bis Anfang 2024 einen konjunkturellen Abwärtstrend signalisiert (vgl. Abb. 2).

Abb. 3: Stärkster Liquiditätsentzug aller Zeiten

Quellen: S&P Global, EZB, Bantleon

Die restriktivere Geldpolitik entfaltet ihre Wirkung aber noch über andere Kanäle. So kommen die Unternehmen immer schwerer an Kredite, weil die Banken ihre Vergabestandards verschärft haben. Die rückläufige Liquiditätsversorgung durch die Finanzinstitute zeigt sich unter anderem bereits in der Geldmengenentwicklung. Die Geldmenge M1 (Bargeld und Sichteinlagen) der Eurozone schrumpft erstmals seit 40 Jahren im Vorjahresvergleich (vgl. Abb. 3). Wenn die Versorgung mit Bargeld und Sichteinlagen zurückgeht, ist dies ein untrügliches Zeichen für eine schwindende Nachfrage in allen Wirtschaftsbereichen und ein klarer Vorbote einer Rezession.

Könnte China bzw. die sich dort abzeichnende Belebung die Weltwirtschaft vor Schlimmerem bewahren? Das halten wir für wenig plausibel. Die Belebung ist stark auf die Binnenwirtschaft bezogen und sollte schnell wieder abebben. Die chinesische Sonderkonjunktur dürfte daher nicht stark genug sein, um die negativen Wirkungen der global zunehmend restriktiven Geldpolitik auszuhebeln.

Im Ergebnis sehen wir unverändert eine Rezession in der Eurozone als das wahrscheinlichste Szenario in diesem Jahr an. Gemessen am BIP dürfte sie bereits im laufenden Quartal eingesetzt haben und sich ins 2. Halbjahr 2023 hinein fortsetzen. Behalten wir mit unserer Einschätzung recht, wird sich der konjunkturelle Datenstrom bereits in den kommenden Wochen wieder verschlechtern. Indikatoren wie der Einkaufsmanagerindex und das ifo-Geschäftsklima sollten nach ihrer Rallye, die unter anderem durch die Entspannung der Gaspreiskrise initiiert wurde, erneut nach unten drehen. Parallel dazu dürfte auch der Inflationsdruck weiter nachlassen.

Renditen dürften deutlich fallen

In einem solchen Umfeld wird die EZB den Prozess der Leitzinserhöhungen in absehbarer Zeit beenden. Dem bereits avisierten Schritt auf 3,00% im laufenden Monat sollten bestenfalls im Mai und Juni noch weitere Anhebungen um zusammen 50 Basispunkte – maximal 75 Basispunkte – folgen. Schliesslich dürfte der konjunkturelle Abwärtstrend bereits im Laufe des 2. Quartals immer klarer zutage treten. Der Leitzinshochpunkt wird demnach bei 3,50% (bzw. maximal 3,75%) liegen (vgl. Tabelle 1). Dies bedeutet, dass derzeit an den Geldterminmärkten zu viele Straffungen eingepreist sind. Dies gilt umso mehr, als wir ab Ende 2023 sogar wieder von Leitzinssenkungen ausgehen. Schliesslich wird die EZB bei einem anhaltend schrumpfenden BIP den Leitzins kaum im restriktiven Bereich belassen.

Tabelle 1: Renditeprognose Basisszenario

Vor dieser Kulisse rechnen wir damit, dass die Renditen von Bundesanleihen in den nächsten Monaten in einen Abwärtstrend einschwenken. Dieser dürfte zunächst – aufgrund der störrisch hohen Kerninflation – zögerlich beginnen, um dann im 2. Halbjahr Fahrt aufzunehmen.Im Ergebnis sollten Bundesanleihen über alle Laufzeiten hinweg bis Anfang 2024 um ca. 100 bis 120 Basispunkte tiefer rentieren. Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen sehen wir entsprechend Anfang 2024 bei 1,50% bis 1,70% (vgl. Tabelle 1). Trotz des ungünstigen Starts sollte ein Portfolio mit Bundesanleihen in diesem Jahr daher immer noch einen Ertrag von gut 5% abwerfen.

Risiko: Alles kommt später

Zu jedem Basisszenario gibt es natürlich – weniger wahrscheinlichere – Alternativszenarien. Die Rezession sehen wir als unausweichlich an. Allerdings könnte sie später einsetzen als gedacht: statt im 1. Halbjahr erst im 2. Halbjahr 2023. Das Gift der steigenden Finanzierungskosten würde mithin mehr Zeit benötigen, bis es sich in allen Wirtschaftsbereichen ausgebreitet hat.

Ein Grund dafür könnte der Sparüberhang sein, den die Konsumenten über die Pandemie-Zeit angehäuft haben (vgl. Abb. 4). Er ist zwar mittlerweile bereits zur Hälfte abgeschmolzen, liegt aber immer noch bei rund 450 Mrd. EUR (= 3,5% des BIP der Eurozone). Im Verbund mit der günstigen Arbeitsmarktlage könnte dies dazu führen, dass die Konsumnachfrage länger robust bleibt als gedacht. Gleichzeitig dürfte dann auch die Kerninflationsrate für längere Zeit als erwartet über der Marke von 5% verharren.

Abb. 4: Konsumenten greifen auf Sparüberhang zurück

Quellen: EZB, Bantleon

Kommt es so, gäbe es für die EZB in den nächsten Monaten keinen Grund, ihren Straffungskurs zu beenden. Schliesslich würden die Konjunkturdaten weiterhin freundlich ausfallen bei gleichzeitig anhaltend hohen Inflationsgefahren. Entsprechend dürften die Währungshüter in diesem Fall über die Jahresmitte hinaus mit den Leitzinsanhebungen fortfahren, sprich, im Rahmen der Sitzungen im Juli, September und eventuell im Oktober würde die EZB die Leitzinsen weiter um jeweils 25 Basispunkte anheben. Der Hochpunkt wäre dann im Spätherbst bei rund 4,50% erreicht (vgl. Tabelle 2).

Darüber hinausgehende Anhebungen sind schwer vorstellbar. Auch für die Falken im EZB-Rat dürfte ein Zinsniveau von über 4,00% ausreichen, um die Inflation unter Kontrolle zu halten. Selbst die grössten Optimisten unterstellen für die nächsten Monate keinen Boom, sondern nur moderates Wachstum.  

Tabelle 2: Renditeprognose Risikoszenario

Verschiebt sich also der Rezessionsbeginn nach hinten, dürften die Leitzinserwartungen noch um weitere ca. 50 Basispunkte nach oben wandern. Entsprechend sehen wir auch das Aufwärtspotenzial bei den Renditen bei 0,5%-Punkten, d.h., 10‑jährige Bundesanleihen würden dann bei rund 3,25% und 2-jährige Schatzanweisungen bei 3,80% rentieren (vgl. Tabelle 2). Diese Hochpunkte sollten überdies bereits zur Jahresmitte erreicht sein und zum Jahresende wieder unterboten werden, sodass die Renditen Ende 2023 nur geringfügig über dem aktuellen Niveau liegen. Selbst in unserem Risikoszenario dürften Bundesanleihen somit im Jahresdurchschnitt – dank der positiven Coupons – noch positive Erträge abwerfen.

Dass die Rezession in der Eurozone ganz ausbleibt, halten wir dagegen für unrealistisch. Dies würde bedeuten, dass die europäische Wirtschaft komplett immun gegen steigende Zinsen und Kosten geworden ist. Tritt unser Risikoszenario ein, wird sich der Zinsschock sogar noch verstärken, d.h., das konjunkturelle Abwärtspotenzial steigt in diesem Fall weiter. Je höher die Leitzinsen und Renditen anziehen, umso grösser ist darüber hinaus das Risiko eines daraus resultierenden Finanzmarktschocks.

Fazit: Comeback der Staatsanleihen kommt – mit Verzögerung

Wie sollte sich der Anleger verhalten, der einerseits unserem Basisszenario vertraut, aber andererseits unser Risikoszenario nicht ausser Acht lassen will? Wer ein Anleihenportfolio verwaltet, sollte bei der Durationssteuerung kurzfristig noch Vorsicht walten lassen. Eine neutrale Positionierung bzw. eine moderate Verlängerung der Duration gegenüber der Benchmark erscheint im aktuellen Umfeld angebracht. Sobald sich jedoch der konjunkturelle Datenfluss verschlechtert, sollten die Laufzeiten im Portfolio konsequent erhöht werden. Darüber hinaus empfiehlt es sich, im weiteren Jahresverlauf gezielt auf hochqualitative Staatsanleihen zu setzen, die am meisten von der Flucht in die sicheren Häfen profitieren.

Allerdings dürften auch mit Investment-Grade-Unternehmensanleihen und Pfandbriefen ordentliche Erträge erwirtschaftet werden. Das Zinsänderungsrisiko ist hier sowohl im Basis- als auch im Risikoszenario überschaubar. Gleichzeitig können attraktive Coupons vereinnahmt werden.

Alles in allem gehen wir unverändert davon aus, dass 2023 ein Jahr der »sicheren Anleihe« wird und mit einem Bondportfolio hohe einstellige Erträge erwirtschaftet werden können.

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