Kommentar
11. Mai 2020

Die Konstruktionsfehler des Euros treten einmal mehr offen zu Tage

Der Euro ist auch 21 Jahre nach seiner Geburt immer noch ein schwieriges Projekt. Das haben die vergangenen Wochen nachhaltig vor Augen geführt. Da ist zunächst der Fall Italien. Zweifellos ist das Land unverschuldet in die aktuelle Krise gerutscht. Dies ändert aber nichts daran, dass im öffentlichen Budget in den Vorjahren Schlendrian getrieben wurde.

Wie alle Euroländer profitierte Italien vom Zinsrückgang. Musste das italienische Finanzministerium 2012 noch 84 Mrd. EUR Zinsen an die Gläubiger überweisen, waren es 2019 nur noch 60 Mrd. EUR. Statt die jährlich gesparten Zinsausgaben zur Senkung des Haushaltsdefizits zu verwenden, wurde das Geld jedoch anderen Zwecken zugeführt.

In der Folge verharrte die Staatsverschuldung Italiens seit 2012 bei 135% des BIP. Portugal gelang es in derselben Zeit hingegen, seine Defizitquote von 133% auf 118% zu senken. In den nächsten beiden Jahren wird der italienische Schuldenberg aufgrund der Rezession auf 160% des BIP anwachsen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie damit umgegangen werden kann:

Erstens könnte Italien spätestens ab 2022 auf den Weg der Tugend einschwenken und einen ausgeglichenen Haushalt anstreben. Zweitens könnten die anderen Eurostaaten über Transferzahlungen das italienische Ausgabenniveau stabilisieren. Drittens könnte die EZB weiter in grossem Umfang Staatsanleihen kaufen und dadurch die Solvenz Italiens sicherstellen. Viertens könnte die künftige Schuldenaufnahme innerhalb der Eurozone verstärkt über Eurobonds erfolgen.

Letzteres stösst auf zu viel Widerstand in den Euro-Nordländern. Eine Sparpolitik (Lösung eins) ist innenpolitisch in Italien kaum durchsetzbar. Vor allem die populistischen Parteien setzen auf eine expansive Fiskalpolitik. Lösung zwei (Transfers) wird zum Teil über den avisierten Wiederaufbaufonds umgesetzt, stellt aber keine Dauerlösung dar. Eigentlich ist klar, worauf es hinausläuft: die EZB muss weiter die Hauptlast der Stabilisierung tragen.

Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat aber auch diese vermeintlich einfachste Lösung in Frage gestellt. Die deutschen Richter stellen klar, dass die EZB nicht ausreichend geprüft hat, ob ihre Massnahmen verhältnismässig sind, und dass nur ein limitierter Ankauf von Staatsanleihen mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die EZB hat rasch erwidert: sie fühle sich nur an Urteile des EuGH gebunden und werde so weitermachen wie bisher. Die Bundesbank, für die wiederum sehr wohl das BVerfG von Relevanz ist, könnte das in grösste Schwierigkeiten bringen.

Nunmehr wird gefordert, das deutsche BVerfG müsse nachgeben, um die europäische Rechtsgemeinschaft nicht zu gefährden. Es bleibt jedoch das Dilemma, dass für Deutschland das Grundgesetz die höchste Rechtsordnung darstellt – eine europäische Verfassung gibt es nicht. Die Einhaltung des Grundgesetzes kann aber nur das BVerfG und nicht der EuGH prüfen.

Kurzfristig wird man eine Lösung finden. Die EZB holt die vom BVerfG geforderte Verhältnismässigkeitsprüfung auf beiläufige Weise nach. Es ist damit sehr wahrscheinlich, dass die Bundesbank mit an Bord bleibt und die EZB ihren expansiven Kurs beibehält. Ausserdem werden sich die Euroländer in den nächsten Wochen auf einen Wiederaufbaufonds im Volumen von mindestens einer Billion Euro einigen. Kurzfristig dürfte dies die Lage in Italien stabilisieren. Entsprechend werden auch die italienischen Risikoaufschläge gedeckelt bleiben. Die strukturellen Probleme Italiens (ineffiziente Verwaltung und Justiz, instabiles politisches System, Korruption) werden damit aber nicht gelöst. Das Tauziehen um Transferzahlungen sowie Eurobonds wird somit in den nächsten Jahren fortbestehen und auch das BVerfG wird weitere schwierige Urteile zu fällen haben.

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