
Es gibt derzeit keine akute Rezessionsgefahr
Weder in der Eurozone noch in den USA ist derzeit mit einer Rezession zu rechnen. Das hat Stephan Kuhnke, CEO und Leiter Anlagemanagement von Bantleon, im Interview mit der »Börsen-Zeitung« gesagt. Zwar sei die US-Zinsstrukturkurve gemessen an den zwei- und zehnjährigen US-Treasuries unlängst invers geworden, was in der Vergangenheit ein zuverlässiger Indikator für eine Rezession gewesen sei, sofern sich die Inversität als nachhaltig erwiesen habe. »Allerdings zeigt die Erfahrung der Vergangenheit auch, dass nach der ersten Inversion der Kurve noch ein bis zwei Jahre vergehen, bis es zu einer Rezession kommt.« Dass in den USA eine Rezession mittelfristig kommen könne, sei jedoch nicht von der Hand zu weisen. »Unserer Meinung nach wird dies aber frühestens im ersten Halbjahr 2021 der Fall sein«, sagte Kuhnke. »Diese Einschätzung wird auch von unseren Frühindikatoren bestätigt.«
In den USA seien jüngst starke Daten veröffentlicht worden, vor allem auf der Konsumseite. »Wir rechnen für das dritte Quartal mit einem BIP-Wachstum von über 2% und die Arbeitslosenrate ist unverändert sehr niedrig«, stellte Kuhnke fest. »Zudem haben sich zuletzt die Finanzierungskonditionen verbessert. Dass sich die zehnjährige Treasury-Rendite von 3,2% auf 1,54% etwa halbiert hat, wirkt sich auf die Finanzierungskonditionen für Unternehmen positiv aus. Zudem steigern die niedrigeren Hypothekenzinsen die Erschwinglichkeit von Immobilien, was eine erhöhte Nachfrage nach Häusern zur Folge hat. Nicht zuletzt werden die Budgets der Eigenheimbesitzer durch die Umschuldungsmöglichkeit bei fallenden Zinsen entlastet. Lediglich der Industriesektor schwächelte zuletzt etwas. Dieser Trend wird sich bis zum Jahresende fortsetzen und damit das BIP-Wachstum belasten.«
In der Eurozone sei eine Stabilisierung beziehungsweise Belebung im weiteren Jahresverlauf wahrscheinlich: »Die Impulse dafür kommen aus China, das bereits mit Gegenmassnahmen auf die Wachstumsverlangsamung reagiert hat. So wurden die Mindestreservesätze und Geldmarktzinsen gesenkt, Steuererleichterungen verabschiedet und Investitionsanreize lanciert. Sofern der Handelskonflikt nicht eskaliert, sollte China an Dynamik zulegen, was den europäischen Exporten zugutekäme.«
Für die Aktienmärkte der Eurozone bedeute dieses Umfeld eine Aufwärtstendenz, »während wir in den USA bei im weiteren Verlauf nachlassender Dynamik Konsolidierungspotenzial sehen. Die jahrelange Outperformance der USA wird sich unserer Einschätzung nach in eine Outperformance Europas gegenüber den USA umkehren.«
Bei den Aktienmarktsektoren bevorzugt der Chefanlagestratege unter anderem Betreiber von Basis-Infrastruktur, wie zum Beispiel Flughäfen, Mautstrassen und Sendemasten: »Sie haben ein extrem günstiges Chance-Risiko-Profil, da sie über Geschäftsmodelle mit monopolartigem Charakter, hohen Markteintrittsbarrieren und aufgrund langjähriger Verträge über zuverlässige Zahlungsströme verfügen. Mit diesen Eigenschaften sind Infrastruktur-Betreiber auch weniger zyklisch. Darüber hinaus ist Basis-Infrastruktur ein langfristiger Wachstumsmarkt, müssen doch jährlich etwa 4 % des globalen Bruttoinlandsprodukts in diesem Bereich investiert werden.«
Der Ausblick für Top-Staatsanleihen sei nicht so rosig: »Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen sollte sich bis zum Jahresende auf die Nulllinie zubewegen. Bei einer aktuellen Verzinsung von -0,65% würde das einen Kursverlust von 6% bedeuten.« Diese Prognose gelte unter der Annahme, dass der Handelskonflikt nicht eskaliert, dass es zu keinem No-Deal-Brexit kommt und in Italien eine Koalition zwischen Fünf-Sterne-Bewegung und Sozialdemokraten zustande kommt. Aus rein fundamentalen Erwägungen heraus gibt es Kuhnke zufolge derzeit keinen akuten Grund, Bundesanleihen zu kaufen. »Im Portfoliokontext sind top-geratete europäische Staatsanleihen jedoch unverzichtbar. Sie werden zur Absicherung gegen Krisen gebraucht. Wo der Boden der Zinsen sein wird, kann niemand genau prognostizieren. Wenn die Krisenherde eskalieren, kann die zehnjährige Bundesrendite auch auf -1,00% fallen, was einem Kurspotenzial von 3,5% entspräche.«
Das vollständige Interview können Sie in der »Börsen-Zeitung« vom 7. September 2019 lesen.
