Analyse
2. September 2019

Ein No-Deal-Brexit wäre kein konjunktureller Todesstoss

Während der Handelsstreit in den vergangenen Tagen eine Verschnaufpause einlegte, trat umso stärker das Brexit-Theater in den Vordergrund. Was viele bereits geahnt hatten, wurde Wirklichkeit: Boris Johnson will die Macht des Parlaments vorübergehend aushebeln, indem er es in einen Zwangsurlaub schickt (vom 9. bzw. 12 September bis 14. Oktober). Den Abgeordneten bleiben somit netto nur drei Wochen, um dem Hasardeur Johnson noch ein Bein zu stellen. Der Premierminister hat klar gemacht, dass er am 31. Oktober die EU verlassen will – im Zweifelsfall auch ohne Deal.

Den Parlamentariern, die mehrheitlich keinen ungeordneten Brexit wollen, verbleiben im Grunde noch zwei Möglichkeiten: Zum einen können sie ein Eilgesetz beantragen, das eine nochmalige Verschiebung des Brexit-Termins vorsieht. Dabei sind sie aber auf die Kooperation des Parlamentsvorsitzenden John Bercow angewiesen, denn nur er kann – ausser der Regierung – ein solches Vorhaben auf die Tagesordnung bringen. Ausserdem muss die zweite Kammer (Oberhaus) mitspielen und das Gesetz im Eiltempo abnicken.

Sollte dieser Prozess scheitern, verbliebe zum anderen noch die Alternative, über einen Misstrauensantrag die Regierung zu stoppen. Ein solcher Antrag besitzt gute Chancen, da aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse nur wenige Rebellen unter den Tories genügen, um die Regierung zu stürzen. Allerdings wäre die Opposition auch dann noch nicht am Ziel. Findet sich innerhalb von zwei Wochen kein neuer Premier, werden zwar Neuwahlen ausgerufen. Den Termin für den erneuten Urnengang fixiert aber der noch amtierende Premierminister. Boris Johnson könnte also das Datum nach dem Brexit am 31. Oktober festlegen.

Man kann es drehen und wenden wie man will, das jüngste Manöver von Boris Johnson hat einen No-Deal-Brexit wahrscheinlicher gemacht. Denn schliesslich wird auch die EU den Briten kaum den Gefallen tun und sich auf einen neuen Austrittsvertrag (ohne irischen Backstop) einlassen. Wäre ein Brexit ohne Vertrag am 31. Oktober aber tatsächlich so schlimm?

Der Handel zwischen der EU und dem Königreich würde in diesem Fall nach WTO-Regeln ablaufen. Schnell wird in diesem Zusammenhang auf Horrorszenarien wie lange Schlangen an den Grenzen und hohe Importzölle – mithin den völligen Zusammenbruch des grenzüberschreitenden Handels verwiesen. Die Briten haben aber bereits im Vorfeld des ersten Brexit-Datums (29. März) deutlich gemacht, dass sie zunächst auf Zölle und Warenverkehrskontrollen verzichten würden. Bei der Ausfuhr aus der EU nach Grossbritannien würde sich also vermutlich zunächst gar nichts ändern.

Natürlich würde die Verunsicherung die Nachfrage nach EU-Gütern schmälern. Mit einem steilen Absturz der Exporte in das Vereinigte Königreich müsste man aber nicht rechnen, zumal bereits seit zwei Jahren ein Abwärtstrend beobachtbar ist. Das Wachstum der Eurozone würde durch den Brexit-Schock wohl nur vorübergehend um einige Zehntel geschmälert. Darüber hinaus wäre ein solches »Ende mit Schrecken« vielleicht sogar besser, als ein erneuter Aufschub des Brexits, der die Unsicherheit nur verlängern würde.

Wir sehen folglich in einem ungeordneten Brexit keinen Game Changer in unserem EUR-Konjunkturausblick, der für die nächsten Monate grundsätzlich freundlich ist. Dennoch würde ein No-Deal-Brexit das Wachstum – ähnlich wie eine weitere Eskalation des Handelsstreits – dämpfen und den Zeitpunkt für die konjunkturelle Belebung nach hinten verschieben.

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