Analyse
7. August 2018

Zinserhöhungen der EZB kommen spät – und dürften schnell vorbei sein

Die Federal Reserve hat die Leitzinsen mittlerweile auf fast 2,00% gehievt. Die EZB ist davon noch weit entfernt. Immerhin ist inzwischen ein erster Plan zum Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik präsentiert. Im Dezember wird das Anleihenkaufprogramm aller Voraussicht nach beendet. Die Leitzinsen sollen indes noch bis zum Ende des nächsten Sommers auf dem aktuell tiefen Niveau gehalten werden. Auf Basis dieser Angaben ist an den Finanzmärkten derzeit ein extrem später und flacher Leitzinserhöhungszyklus eingepreist. Erst Ende 2020 dürften demnach die Leitzinsen wieder im Plus liegen. Ist dies ein realistisches Szenario?

Nimmt man die Taylor-Regel oder andere Indikatoren (Outputlücke, Konjunkturbarometer) zum Massstab, hätte die EZB den Leitzins schon längst anheben müssen. Die Notenbank will aber diesmal auf Nummer sicher gehen und erst handeln, wenn die Inflation bereits nachhaltig steigt.

Aus unserer Sicht sollte Mitte 2019 das Umfeld gegeben sein, um den Leitzinserhöhungszyklus zu starten. Die EZB dürfte dann sogar aggressiver vorgehen, als die Finanzmärkte derzeit vermuten. Allerdings werden die Währungshüter in Frankfurt nicht weit kommen. Schliesslich ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass spätestens 2020/2021 die Weltwirtschaft einen scharfen Abschwung erlebt. Statt geldpolitischer Straffungen sind dann wieder monetäre Impulse gefragt. Die Diskussionen um neue QE-Programme und Helikopter-Geld werden somit schneller auf die Tagesordnung zurückkehren als es allen lieb ist.

Der Ausstiegsplan der EZB

Die EZB hat im Juni den Ausstiegsplan aus ihrer ultraexpansiven Geldpolitik grob umrissen. Im Mittelpunkt stehen die beiden folgenden Massnahmen:

  • Im Dezember 2018 soll der Nettoerwerb an zusätzlichen Anleihen eingestellt werden. Der bis dahin erworbene Bestand an Wertpapieren (2.600 Mrd. EUR) wird zunächst konstant gehalten.
  • Gleichzeitig will die Notenbank die Leitzinsen mindestens bis zum nächsten Sommer auf dem aktuell tiefen Niveau belassen.

Das Ende des QE-Programms steht unter dem Vorbehalt, dass sich das Inflationsumfeld bis zum Jahresende nicht verschlechtert. Auch der Zinsausblick ist datenabhängig und kann (nach vorne oder hinten) verschoben werden.

Mit der Forward Guidance bei den Zinsen hat die EZB allerdings ohnehin mehr Verwirrung als Klarheit gestiftet. Die englische Formulierung, die Leitzinsen sollen mindestens »through the summer 2019« auf dem jetzigen Niveau behalten werden, ist mehrdeutig. Selbst die Dolmetscher kamen ins Schleudern. So wurde die deutsche Fassung im Nachhinein korrigiert: aus »bis zum Ende des Sommers 2019« wurde »über den Sommer 2019«. Auch innerhalb des EZB-Rats wird die Formulierung unterschiedlich gedeutet. Einige Währungshüter gehen nach wie vor davon aus, dass eine erste Leitzinserhöhung bereits im Juli 2019 möglich ist. Die Mehrheit des EZB-Rats (darunter Mario Draghi) sieht indes erst ab September/Oktober Spielraum für eine geldpolitische Straffung.

Diese Interpretation hat sich auch an den Finanzmärkten durchgesetzt (vgl. Abb. 1). Demnach ist im September 2019 eine erste Leitzinserhöhung um 10 Bp eingepreist, der im Dezember ein weiterer Schritt um 10 Bp folgt. Für 2020 geht der Markt von nochmals drei Trippelschritten um 10 Bp aus, sodass der Leitzins erst Ende 2020 leicht im Plus läge (+0,10%). Ist dieser extrem flache und spät einsetzende Leitzinserhöhungszyklus realistisch?

Abb. 1: Märkte sind sehr vorsichtig

Quellen: EZB, Bantleon

Die Empfehlung von Taylor

Wo müssten die Leitzinsen eigentlich im aktuellen Umfeld liegen? Erste Anhaltspunkte dafür gibt die Taylor-Regel, die als universale Daumenregel der Geldpolitik gilt.

Laut Taylor-Regel sind für die Entwicklung der Leitzinsen drei Grössen massgeblich: der »gleichgewichtige« Leitzins, die Inflationslücke und die Outputlücke. So wird der Leitzins in der Regel unter den Gleichgewichtszins gesenkt, wenn die Inflation das Inflationsziel unterschreitet und/oder die Kapazitäten der Wirtschaft nicht ausgelastet sind (negative Outputlücke).

In der Eurozone wird seit Jahren über zu niedrige Inflationsraten geklagt. Auch jetzt besteht nach Meinung der EZB noch eine negative Inflationslücke. In der Realität ist sie aber gar nicht mehr so gross. Im gesamten 1. Halbjahr 2018 lag die Inflationsrate immerhin bei durchschnittlich 1,5% – also lediglich ca. 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte unter dem Inflationsziel (»unter, aber nahe 2,0%«). Die Kerninflation (ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel) weist zwar ein noch tieferes Niveau aus (rund 1,0%). Hier gilt aber zu bedenken, dass die Kerninflation im historischen Mittel 0,4 Prozentpunkte unterhalb der Headline-Inflationsrate lag und somit seit Beginn der Währungsunion im Durchschnitt gerade einmal 1,4% erreicht hat (vgl. Abb. 2). Berücksichtigt man dies, kann man sagen, dass die Inflation derzeit das Ziel um knapp einen halben Prozentpunkt verfehlt. Die negative Inflationslücke beträgt entsprechend 0,5%.

Abb. 2: Kerninflation meist tiefer als Headline

Quellen: Eurostat, Bantleon

Die Abschätzung der Outputlücke ist ein komplexeres Unterfangen. Im Nachgang der schweren Finanz- und Eurokrise ist das tatsächliche Produktionsniveau zweifelsohne deutlich unter das Produktionspotential abgesackt. Mittlerweile sind aber fünf Jahre Aufschwung vergangen – entsprechend dürfte ein Grossteil der Produktionslücke geschlossen sein. Dafür sprechen auch andere Indikatoren (Lieferzeiten, Auftragsbestände), die bereits auf gut ausgelastete Kapazitäten hindeuten. Unsere eigene Schätzung geht inzwischen sogar von einer klar positiven Outputlücke aus (vgl. Abb. 3). Andere Berechnungen pendeln um null. Summa summarum dürfte die Outputlücke neutral auf den Taylor-Zins wirken.

Abb. 3: Realzinsen fallen immer weiter – trotz positiver Outputlücke

Quellen: EZB, Eurostat, Bantleon; *Hauptrefinanzierungssatz bzw. Depositenrate abzüglich Kerninflation; **BIP/potentielles BIP

Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt man, wenn statt der Outputlücke die Arbeitslosenlücke berechnet wird. Auch am Arbeitsmarkt der Eurozone hat sich in den vergangenen fünf Jahren vieles zum Besseren gewendet. Die Arbeitslosenrate ist von 12,1% auf 8,3% gefallen und liegt damit inzwischen deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt (9,5%). Aufgrund der hohen strukturellen Arbeitslosigkeit sind viele Analysten der Meinung, dass in der Summe bereits Gleichgewicht an den Arbeitsmärkten der Eurozone herrscht. Mithin dürfte auch die Arbeitslosenlücke weitgehend geschlossen sein.

Am schwierigsten ist schliesslich die Quantifizierung des neutralen oder gleichgewichtigen Leitzinses. Auf diesem Niveau soll der Leitzins liegen, wenn sich die Wirtschaft im Gleichgewicht befindet – sprich das Inflationsziel erreicht ist und das Produktionsniveau dem Potential entspricht, also die Wirtschaft weder überhitzt noch unterausgelastet ist.

Noch vor ein paar Jahren wurde der neutrale (nominale) Leitzins bei 3,5% bis 4,0% gesehen. Inzwischen gehen indes viele Notenbanker davon aus, dass er stark gefallen ist. Aber selbst wenn man einen sehr niedrigen Wert von 1,0% bis 2,0% unterstellt (die Fed geht in den USA von rund 3,0% aus), würde der Taylor-Zins in der Eurozone aktuell auf jeden Fall im Plus liegen. Schliesslich wäre aufgrund der negativen Inflationslücke nur ein kleiner Abschlag vom Gleichgewichtszins erforderlich. Unsere eigenen Modelle errechnen derzeit einen Taylor-Zins für die Eurozone zwischen 1,5% und 2,0% (siehe Abb. 4). Mithin wäre das Ergebnis der Taylor-Regel eindeutig: die EZB ist »behind the curve«.

Abb. 4: EZB »behind the curve«

Quellen: EZB, BANTLEON; *bis 2015 Hauptrefinanzierungssatz, danach Depositenrate, **geschätzt mit Arbeitslosenlücke, ***geschätzt mit Outputlücke

Auch andere Orientierungsgrössen deuten darauf hin, dass die EZB sehr expansiv unterwegs ist und ihre Reaktionsfunktion im Vergleich zum Beginn der Währungsunion angepasst hat. Ein Beispiel ist der Einkaufsmanagerindex der Industrie, der Ende 2017 auf Werte von 60 Punkten gesprungen ist. War dies in der Vergangenheit der Fall, hat die EZB stets die Leitzinsen (im Vorjahresvergleich) angehoben (vgl. Abb. 5). Dieses Mal ist sie davon weit entfernt. Immerhin könnte man der EZB zugutehalten, dass sie ihr QE-Programm zuletzt zurückgefahren hat und damit eine gewisse »geldpolitische Straffung« umgesetzt wurde. Dies stimmt zweifellos, ändert aber nichts daran, dass die Zinsniveaus in der Eurozone über das gesamte Laufzeitspektrum nach wie vor extrem tiefe Niveaus aufweisen.

Dies zeigt sich auch darin, dass die realen Leitzinsen (Leitzins abzüglich Inflationsrate) in den vergangenen Quartalen immer weiter gefallen sind, obwohl die Wirtschaft solide wächst und die Kapazitäten – wie oben beschrieben – ausgelastet sind. Auch das ist ein Novum seit Beginn der Währungsunion (vgl. Abb. 3).

Abb. 5: Trotz Boom keine Leitzinsanhebung

Quellen: EZB, Markit, Bantleon

Erklären lässt sich das geänderte Reaktionsmuster der EZB mit der Schwere der Wirtschaftskrise, welche die Eurozone in den Jahren 2008 bis 2013 in zwei Wellen erfasst hat und eine lange Durstrecke mit aussergewöhnlich tiefen Inflationsraten zur Folge hatte. Die Notenbank will alles tun, um zu verhindern, dass die Konjunktur frühzeitig abgewürgt wird und die südeuropäischen Länder erneut in Schwierigkeiten geraten. Das Verhalten der Notenbank ist mithin stärker an Italien als an Deutschland ausgerichtet.

Die anziehende Inflation bereitet 2019 den Boden für die Leitzinswende

Da die alten Reaktionsmuster nicht mehr gelten, muss man sich an den neuen Leitlinien der EZB orientieren. Demnach will die Notenbank frühestens im Sommer 2019 agieren und dies auch nur, wenn es die Daten zulassen, d.h. das Wachstum robust bleibt und die Inflation – speziell die Kerninflation – weitere Schritte Richtung Inflationsziel macht. Welches makroökonomische Umfeld zeichnet sich für die Währungsunion in den nächsten Quartalen ab?

Bis Ende 2017 schwebte die Wirtschaft der Eurozone auf Wolke sieben. Angetrieben von einer kräftigen Binnen- und Auslandsnachfrage erreichte das Wachstum 2,8% (im Vorjahresvergleich) – das höchste Niveau der letzten zehn Jahre. Seit Anfang 2018 sind die Aufschwungskräfte in der Eurozone indes erlahmt. Die Wachstumsdynamik hat sich im 1. Halbjahr 2018 halbiert. Dies spiegelt sich exemplarisch im Einkaufsmanagerindex der Industrie wider, der von 60,6 auf 55,1 Punkte gefallen ist. Unsere Frühindikatoren legen nahe, dass die konjunkturelle Eintrübung noch mindestens bis Anfang 2019 anhält (vgl. Abb. 6). Ursache ist primär die sich abkühlende Weltkonjunktur. In UK, China und zahlreichen anderen Schwellenländern hat das Expansionstempo bereits nachgelassen. In den USA dürfte der zyklische Hochpunkt zur Jahresmitte durchschritten worden sein.

Abb. 6: Stabilisierung 2019?

Quellen: Markit, Bantleon

Eine Fortsetzung der Abschwächung ist also sehr wahrscheinlich. Die nächste Frage ist, mit welchem Tempo sie vonstattengeht. Hier spricht vieles dafür, dass es bei einem moderaten Abwärtstrend bleibt, mithin ein konjunktureller Absturz vermieden wird. Unter anderem wirken Teile der Binnenwirtschaft (z.B. das Baugewerbe) nach wie vor als Stützfaktor. In unserem Basisszenario gehen wir entsprechend davon aus, dass das Wachstum der Eurozone zwar auf 1,5% abschmilzt, damit aber noch über der potentiellen Wachstumsrate bleibt (ca. 1,0%).

Mit etwas Glück sollte sich die Konjunktur Mitte 2019 wieder fangen und bis Ende nächsten Jahres neue Kraft tanken. Übertragen auf den Einkaufsmanagerindex bedeutet dies, dass er im Frühjahr 2019 oberhalb der Expansionsschwelle seinen unteren Wendepunkt durchschreitet (vgl. Abb. 5 und 6). In diesem Idealszenario würde die EZB – trotz des konjunkturellen Durchhängers im laufenden Jahr – im Spätsommer 2019 den Leitzinserhöhungszyklus einleiten.

Mehr noch als die Konjunktur dürfte dafür jedoch die Inflation ausschlaggebend sein. Sie hinkt traditionell dem Konjunkturzyklus hinterher. Diesmal dauert es besonders lange, bis die Wachstumsimpulse auf die Teuerung überschwappen. Ein Grund war der Ölpreiseinbruch in den Jahren 2014/2015 (Absturz von 115 USD auf 26 USD), von dem enorme disinflationäre Wirkungen ausgingen. Mittlerweile hat sich der Ölpreis gefangen und alle vorauslaufenden Indikatoren deuten auf steigenden Preisdruck hin. Dazu passt, dass die Unternehmen immer häufiger über lange Lieferzeiten und teure Rohstoffe klagen.

Der bedeutendste Schwenk zeichnet sich indes bei der Lohninflation ab. Sie hat Ende 2017 den Tiefpunkt überwunden und dreht seit Anfang 2018 nach oben. Nicht zuletzt haben die deutschen Tarifabschlüsse diesen Prozess weiter vorangetrieben (vgl. Abb. 7). Den davon ausgehenden Kostendruck werden die Unternehmen in den nächsten Quartalen zunehmend auf die Verbraucher überwälzen. Wir prognostizieren daher einen Anstieg der Kerninflation im kommenden Jahr auf durchschnittlich 1,5%.

Abb. 7: Die Lohninflation kommt

Mit anderen Worten: Die EZB sollte Mitte 2019 ihrem Inflationsziel schon recht nahe sein. Gleichzeitig wird die Arbeitslosenrate auf die Rekordtiefststände von Ende 2007 zulaufen (7,3%). Negativzinsen gehören in einem solchen Umfeld endgültig der Vergangenheit an. Wir erwarten daher, dass die EZB den Leitzins nicht nur in Schritten zu 10 Bp, sondern zu 20 Bp (bzw. ab 0,00% um 25 Bp) anhebt. Ausserdem sollte sie mindestens im 3‑Monats-Rhythmus agieren, sodass Ende 2019 0,00% erreicht sein könnten. Bis Mitte 2020 ist dann eine Erhöhung auf 0,50% möglich.

Dem Leitzinserhöhungszyklus dürfte schon bald die Luft ausgehen

Je weiter der Blick allerdings in die Ferne schweift, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Weltwirtschaft von einem kräftigen Abschwung erfasst wird. Die USA würden 2020 in das elfte Jahr des Aufschwungs gehen. Bereits jetzt sind dort indes die Kapazitäten gut ausgelastet und am Arbeitsmarkt herrscht Überbeschäftigung. Das Gemisch aus Überhitzung, hoch bewerteten Aktienmärkten und einer immer strafferen Geldpolitik wird irgendwann implodieren und die Weltwirtschaft mit nach unten ziehen.

In Anbetracht dessen spricht vieles dafür, dass die EZB in diesem Leitzinserhöhungszyklus nicht einmal die 1,00%-Marke erreicht. Auf den nächsten Abschwung kann sie damit kaum reagieren (in den zwei vergangenen Rezessionen wurde der Leitzins um 275 bis 300 Bp reduziert). Es sei denn, die Leitzinsen werden noch tiefer als -0,40% gesenkt und/oder die Wertpapierankäufe erreichen schwindelerregende Höhen. Ersteres wird aber vor allem die Banken in noch grössere Schwierigkeiten bringen und Letzteres ist technisch kaum umsetzbar.

Dabei ist das noch der günstige Fall. In unserem Risikoszenario gehen wir davon aus, dass die aktuelle konjunkturelle Abschwächung steiler vonstatten geht als oben angenommen. Dies wird vor allem dann eintreten, wenn Donald Trump doch wieder die Autozölle aus der Mottenkiste holt und sich der Handelsstreit zu einem Krieg ausweitet. Auslöser könnten aber auch Turbulenzen an den Aktienmärkten sein – wie gross dort die Unruhe ist, konnte man bereits im Februar dieses Jahres beobachten (DAX -13%). Wie es auch immer kommt, die EZB wird entweder bereits im kommenden Jahr, spätestens jedoch 2020/2021 mit der Diskussion über neue unkonventionelle Massnahmen der Geldpolitik konfrontiert sein.

Anleihenrenditen folgen dem Auf und Ab der Leitzinserwartungen

Unser Leitzinsausblick hat natürlich auch für die Renditen an den Anleihenmärkten Folgen – es zeichnet sich eine Berg- und Talfahrt ab. Der konjunkturelle Abwärtstrend wird die EZB zunächst in die Defensive drängen und sehr zurückhaltend (dovish) agieren lassen. In diesem Zuge werden die Leitzinserwartungen noch weiter nach hinten wandern. Viele Investoren werden darauf spekulieren, dass die EZB den Straffungszyklus 2019 komplett ausfallen lässt. Davon wird Abwärtsdruck auf die Bund-Renditen ausgehen, die sich nach unserer Einschätzung Ende 2018 nochmals der Nulllinie nähern.

Stabilisiert sich dann aber Anfang 2019 doch die Lage und drehen die Inflationsraten nach oben, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die EZB an der Leitzinsschraube dreht. Die Finanzmärkte werden darauf reagieren und vermutlich einen steileren Leitzinspfad antizipieren als derzeit eingepreist. Die Renditen werden infolgedessen anziehen und 10-jährige Bundesanleihen 2019 die 1,0%-Marke klar überspringen.

Fazit: Die EZB läuft auf das nächste geldpolitische Abenteuer zu

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die EZB derzeit extrem zögerlich agiert. Würde sie heute so handeln wie in ihrer Anfangszeit, läge der Leitzins schon längst wieder im Plus – die Wirtschaft ist Mitte 2018 gut ausgelastet und die Inflation nicht mehr weit vom Ziel entfernt. In diesem Zyklus wollen die Notenbanker jedoch erst den Fuss vom Gas nehmen, wenn der Inflationsprozess in vollem Gang ist. An den Finanzmärkten ist entsprechend ein sehr später und flacher Leitzinserhöhungszyklus eingepreist – erst Ende 2020 sollte die Depositenrate wieder über null liegen. Damit aber nicht genug. Der aktuelle konjunkturelle Abwärtstrend dürfte die Leitzinserwartungen temporär sogar noch weiter nach hinten wandern lassen.

Dass der Zinszyklus doch noch 2019 in Gang kommt, ist in unseren Augen der Inflation zu verdanken, die im kommenden Jahr anzieht. Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, dürfte die EZB letztendlich sogar aggressiver agieren als derzeit erwartet. Sie wird damit aber nicht weit kommen. Schon heute ist absehbar, dass der Leitzins in diesem Zyklus kaum die 1,00%-Marke erreicht. Die EZB geht daher ohne viel Pulver in den nächsten Abschwung.

Die Debatten um neue QE-Programme und noch tiefere Negativzinsen werden von vorne beginnen. Das Lager wird sich spalten in diejenigen, welche die Geldpolitik noch progressiver ausgestalten wollen. Sie werden sich vehement für Helikopter-Geld und den Ankauf von Aktien aussprechen. Stärker als in der Vergangenheit werden jedoch die Skeptiker auf den Plan treten und ein Ende der geldpolitischen Überdehnung fordern. Letzteres hätte ein reinigendes Gewitter an den Finanzmärkten zur Folge. Eine Vermögensblase nach der anderen dürfte dann platzen.

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