
Der Catenaccio ist überholt – gelingt Italien die Modernisierung?
Die Qualifikation zur Fussball-WM hat Italien verpasst. Ansonsten hat sich das Sorgenkind der Währungsunion aber 2017 gut geschlagen. Das Wachstum hat spürbar angezogen, die Bankenkrise wurde entschärft und die staatliche Schuldenstandsquote dürfte gesunken sein. Ein nachhaltiger Befreiungsschlag ist darin allerdings nicht zu sehen. Italien leidet weiter unter geringer Innovationskraft und einer schwachen Produktivitätsentwicklung.
Eine Wurzel des Übels liegt in der ineffizienten öffentlichen Verwaltung. Die Reformanstrengungen sind in dieser Hinsicht auf halbem Weg steckengeblieben. Damit sie fortgeführt werden, bedarf es neuen politischen Schwungs. Ein Macron- oder Kurz-Effekt ist allerdings in Italien nicht in Sicht. Vielmehr zeichnet sich nach den anstehenden Parlamentswahlen im März eine sehr schwierige Regierungsbildung und in der Folge eine politische Lähmung ab. In Anbetracht dessen ist zu befürchten, dass in Italien im Zuge der nächsten konjunkturellen Abkühlung (2019/2020) wieder die alten Wunden aufreissen und die Debatte um die Mitgliedschaft in der Eurozone neu entbrennt. Künftige Spannungen in der Währungsunion sind damit vorprogrammiert.
Entspannungssignale in der Eurozone
Die Eurozone hat sich 2017 in geradezu spektakulärer Weise aus der Krise befreit. Das Wachstum liegt inzwischen stabil über 2,0% und zwar nicht zuletzt dank Frankreich, das sich innerhalb kürzester Zeit vom »kranken Mann« zum Hoffnungsträger wandelte. Einstige Sorgenkinder wie Portugal können sich an den Kapitalmärkten so günstig refinanzieren wie selten zuvor. Selbst Griechenland bereitet die Emission eigener Staatsanleihen vor.
Und Italien? Nach wie vor gilt der Satz, dass sich das Schicksal der Währungsunion im drittgrössten Mitgliedsland (Anteil am BIP der Eurozone: 17%) entscheidet. Dabei ist nicht nur im italienischen Fussball eine Modernisierung – und damit die Abkehr vom überholten Catenaccio – überfällig, sondern auch in der Wirtschaft. 2017 kamen von dort einige positive Signale: Die Konjunktur und die Lage der Banken haben sich stabilisiert. Stellt dies mehr als nur ein kurzes Aufbäumen dar?
Italienische Wachstumsmalaise
Italien hat seit dem Beitritt zur Währungsunion ein Wachstumsproblem. Während die Eurozone und Deutschland seit 1999 pro Jahr durchschnittlich um knapp 1,5% expandierten, waren es in Italien gerade einmal 0,4%. Ursächlich dafür war nicht die Entwicklung der Erwerbsbevölkerung, die in Italien kaum langsamer gewachsen ist als in der Eurozone (0,5% versus 0,7% p.a.). Entscheidend war stattdessen die geringe Zunahme der Produktivität. Mithin ist Italien in dieser Hinsicht das absolute Schlusslicht unter den OECD-Staaten. Nirgendwo sonst fällt die Effizienzsteigerung seit Anfang des Jahrtausends geringer aus (vgl. Abb. 1).
Aber nicht nur strukturell ist Italien ins Hintertreffen geraten, auch bei der konjunkturellen Wiederbelebung blieb das Land zurück. Während Irland, Spanien, Portugal, die Niederlande oder Österreich in den vergangenen Jahren kräftig aufgeholt und frühere Höchststände beim BIP erreicht bzw. überschritten haben, klafft bei Italien nach wie vor eine Lücke – Ende 2017 lag die Wirtschaftsleistung weiterhin 6% unter dem Niveau von Anfang 2008 (vgl. Abb. 2).
Abb. 1: Italien bei der Produktivität Schlusslicht

Immerhin mehren sich seit Ende 2016 die Anzeichen, dass der Abstand Italiens nicht weiter wächst. 2017 dürfte das Wachstum erstmals seit sieben Jahren wieder erkennbar über der 1,0%-Marke gelegen haben. Wir gehen von 1,6% aus, womit sich Italien an den Durchschnitt der Währungsunion (2,4%) herantastet. Im Folgenden soll zunächst auf die jüngsten zyklischen Erfolge und danach auf die strukturellen Probleme eingegangen werden.
Abb. 2: Immer noch viel aufzuholen

Globale Erholung färbt auf Italien ab
Früher war das Wirtschaftsmodell Italiens einfach. Hat es konjunkturell geklemmt, wurde die Lira abgewertet, was die Exporte befeuerte und die Konjunktur belebte. Mit diesem Mechanismus konnten offensichtlich die Unternehmen gut leben und haben investiert. Seit dem Beitritt zur Währungsunion ist dies nicht mehr möglich. Um preisliche Wettbewerbsvorteile zu erzielen, müssen die Kosten gesenkt und/oder die Produktivität gesteigert werden. Der Umstieg auf das neue Umfeld ist Italien noch nicht gelungen, wie man an der Entwicklung der Lohnstückkosten sieht, die ihr überdurchschnittliches Niveau beibehalten haben (vgl. Abb. 3). Dies liegt aber nicht an kräftig steigenden Löhnen, sondern an dem bereits angesprochenen Problem geringer Produktivitätsfortschritte.
Abb. 3: Keine Fortschritte in Sachen Wettbewerbsfähigkeit

Es verwundert daher nicht, dass Italien von der globalen Erholung weniger stark profitiert hat als der Rest der Eurozone. Während Italiens Exporte seit Anfang 2009 um knapp 40% gestiegen sind, waren es in den anderen Euroländern zumeist über 50% (vgl. Abb. 4). Erst die starke Euro-Abwertung 2015/2016 um 25% (geg. USD) und die kräftige weltwirtschaftlichen Belebung des vergangenen Jahres haben schliesslich auch den italienischen Export beflügelt.
Abb. 4: Italien profitiert unterdurchschnittlich

Dessen ungeachtet steht im Zentrum der konjunkturellen Erholung nach wie vor die Konsumnachfrage. Etwa die Hälfte des Wachstums entfiel 2017 auf den privaten Verbrauch. Ein wichtiger Impulsgeber dafür ist die Arbeitsmarktreform aus dem Jahr 2015, die zwar nicht die Löhne flexibilisiert, dafür aber den Anreiz zu Neueinstellungen erhöht hat. Dies geschah einerseits durch die Lockerung des Kündigungsschutzes bzw. die Reduzierung der Abfindungszahlungen. Andererseits werden Unternehmen, wenn sie Stellen neu besetzen, von den Sozialabgaben befreit (diese Subvention ist inzwischen nur noch für junge bzw. in Süditalien ansässige Arbeitnehmer gültig).
Abb. 5: Beschäftigungsboom stützt Konsum

Die Arbeitsmarktreform ist damit eine wesentliche Stütze des seit Anfang 2015 anhaltenden Beschäftigungsbooms, der sich primär in einer Erhöhung der Erwerbsquote und nur zu einem kleineren Teil im Rückgang der Arbeitslosigkeit widerspiegelt (vgl. Abb. 5). Der Beschäftigungsstand hat inzwischen wieder das Niveau erreicht, das vor der Finanzkrise vorherrschte (23,1 Mio.). Ein Manko besteht weiterhin darin, das hauptsächlich Stellen im Niedriglohnsektor geschaffen werden und damit die Impulse für das Produktivitätswachstum eher gering sind.
Dennoch beflügelt die Arbeitsmarkterholung die Konsumentenstimmung. Die Italiener holen aufgeschobene Konsumausgaben nach. Die zeigt sich etwa bei den Pkw-Verkäufen, die 2017 um 8% zulegten (im Vergleich zu 2016).
Das grösste Nachholpotential besteht bei den Investitionen (Maschinen, Anlagen und Bauten), die zwischen 2007 und 2014 um 30% eingebrochen sind (vgl. Abb. 6). Mittlerweile findet auch hier eine Wiederbelebung statt. Die Unternehmen blicken optimistischer in die Zukunft, wozu das freundliche weltwirtschaftliche Umfeld beiträgt. Wie beim Beschäftigungsboom spielen aber auch staatliche Anreize eine Rolle. Investitionen in moderne Maschinen und Anlagen werden seit 2016 massiv gefördert. Ob sich aus der Investitionsbelebung ein langfristig stabiler Aufwärtstrend entwickelt, wird aber nicht zuletzt davon abhängen, ob es der Regierung gelingt, die italienischen Standortbedingungen zu verbessern.
Abb. 6: Italienische Investitionskrise

Zwischenfazit: Italiens Wirtschaft hat sich im Wind-schatten der Währungsunion aus der Konjunkturkrise befreit. Anders als früher ging die Initialzündung nicht vom Export, sondern von der Binnennachfrage aus. Staatliche Impulse spielen dabei eine wichtige Rolle. Bei den Investitionen wäre das Nachholpotential nach wie vor gross. Um dieses zu heben, müssen jedoch die Rahmenbedingungen für die Produktionstätigkeit in Italien verbessert werden.
Auswege aus der Produktivitätskrise
Was ist die Wurzel für die schlechten Standortbedingungen, die schwache Investitionstätigkeit und die geringe Innovationskraft? Ganz grundsätzlich gilt, dass die italienische Wirtschaft vergleichsweise wenig in Forschung und Entwicklung investiert (vgl. Abb. 7), was sich unter anderem in einer geringen Zahl an Patentanmeldungen niederschlägt.
Abb. 7: Firmen halten sich in der Forschung zurück

In Zeiten der Globalisierung dürfte sich überdies die überproportionale Bedeutung kleiner Unternehmen, als Nachteil erweisen.[1] Im Vergleich zu grösseren Einheiten tun sich Mikrofirmen schwer bei der Kapitalbeschaffung und ziehen geringere Vorteile aus IT-Investitionen (fehlende Skalenerträge). Häufig mangelt es überdies an einer professionellen Personalrekrutierung. Ausserdem hat in Italien offensichtlich die Tendenz zugenommen, unrentable Unternehmen (»Zombie-Firmen«) am Leben zu halten, was sich unter anderem in der massiv steigenden Zahl notleidender Kredite widerspiegelt.
Werden die Unternehmen befragt, besteht am grössten Investitionshemmnis kein Zweifel: Es ist die ineffiziente Bürokratie. Die italienische Verwaltung gilt als langsam, teuer, inkompetent, korrupt und intransparent. Dies zeigt sich auch in den verschiedenen Rankings internationaler Organisationen, die versuchen, die Qualität der Bürokratie eines Landes zu messen.[2] Im Vergleich der OECD-Staaten rangiert Italien stets weit hinten und spielt meist in einer Liga mit Griechenland und Osteuropa (vgl. Abb. 8).
Abb. 8: Keine guten Noten für die Bürokratie

Einige Beispiele führen die bürokratischen Unzulänglichkeiten plastisch vor Augen: So muss ein ital-ienisches Unternehmen durchschnittlich 60 Wochen auf eine Mehrwertsteuergutschrift warten, der deutsche Konkurrent hingegen nur fünf. Auch bei der Begleichung öffentlicher Aufträge lassen sich italienische Ämter viel Zeit – der Zahlungsrückstand beträgt im Mittel sieben Wochen (in Deutschland wird in der Regel pünktlich bezahlt). Bei Gerichtsprozessen müssen sich Unternehmen ebenfalls in Geduld üben. Bis ein erstes Urteil gefällt wird, vergehen im Mittel drei Jahre (in Deutschland sind es »nur« knapp 1,5 Jahre). Die Leistungen sind schlecht – dafür aber teuer. Bei Baugenehmigung fallen in Italien etwa drei Mal so hohe Kosten an wie in Deutschland.
Die Entscheidungsträger in Italien sind sich der Defizite bewusst. Die mit grossen Ambitionen angetretene Regierung Renzi hat entsprechend 2015 ein Rahmengesetz für eine umfassende Verwaltungsreform erlassen. Es sieht unter anderem vor, das Beschaffungswesen zu straffen, die Personalrekrutierung zu verbessern, den Anteil elektronischer Dienstleistungen zu erhöhen, Kompetenzstreitigkeiten zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen abzubauen und vieles mehr.
Auf einige Fortschritte kann Italien durchaus verweisen. Unter anderem wurde das Prozedere zur Gründung eines Unternehmens so vereinfacht, dass es inzwischen innerhalb einer Woche abgeschlossen werden kann. Zumeist sind die Erfolge aber bescheidener. So wurde mit grossem Aufwand versucht, Gerichtsverfahren zu beschleunigen – ein Effekt ist bislang kaum auszumachen (vgl. Abb. 9). Ausserdem sind andere Länder nicht stehen geblieben, sondern versuchen ihrerseits ihre Standortbedingungen zu verbessern und ziehen an Italien vorbei.
Abb. 9: Fortschritte im Kriechgang

Kommt hinzu, dass der Modernisierungsprozess in Italien Ende 2016 zwei schwere Rückschläge erlitt. Zum einen erklärte das Verfassungsgericht Teile der Verwaltungsreform für rechtswidrig. Zum anderen ist das Senatsreferendum gescheitert und damit das Herzstück der Reformagenda. Es hätte speziell das Grundübel der langwierigen Gesetzgebungsverfahren beseitigt. Das Zweikammersystem führt dazu, dass Gesetzestexte endlos zwischen Senat und Abgeordnetenkammer hin- und hergeschoben und dadurch verwässert und intransparent werden. Dies lässt den Behörden grossen Interpretationsspielraum bei der Auslegung der Gesetze.
Die Ablehnung des Senatsreferendums hat gleichzeitig den Reformer Renzi ins Abseits gestellt und deutlich gemacht, dass eine ruckartige Modernisierung des Landes nicht möglich bzw. gewollt ist.
Die künftigen Regierungen kommen dennoch nicht umhin, die Erneuerung der öffentlichen Verwaltung weiter voranzutreiben. Ansonsten bleiben die notwendigen Produktivitätseffekte aus. Die politischen Perspektiven sind in dieser Hinsicht allerdings wenig vielversprechend (siehe unten).
Die Lage bei den Banken und der Staatsverschuldung
Neben der Schwäche der politischen Institutionen hat Italien mit zwei weiteren Baustellen zu kämpfen: das riesige Volumen an notleidenden Bankkrediten (je nach Abgrenzung 170 bis 300 Mrd. EUR[3]) und die hohe Staatsverschuldung (2016: 132% des BIP). Beide Probleme sind im Zuge der konjunkturellen Erholung in den Hintergrund getreten.
Abb. 10: Der Anfang ist gemacht

Die Bankenkrise wurde im vergangenen Jahr aber zweifellos auch durch das Eingreifen der Regierung und der Finanzindustrie entschärft. Meilensteine waren dabei die spektakuläre Kapitalerhöhung von Unicredit (über 13 Mrd. EUR) sowie die staatlichen Kapitalspritzen (in Höhe von 10,2 Mrd. EUR) für Monte dei Paschi di Siena, Veneto Banca und Banca Populare di Vicenza. Zuletzt gelang auch noch der angeschlagenen Banca Carige eine Kapitalerhöhung. Diese Aktionen haben zum einen die Kapitalbasis der Banken gestärkt bzw. im Fall der venezianischen Banken den Verkauf der Institute ermöglicht. Zum anderen konnten zusätzliche Abschreibungen vorgenommen und grosse Pakete an notleidenden Krediten aus den Bankbilanzen entfernt werden (insgesamt sind über 50 Mrd. EUR geplant).
Dies wird ebenfalls bereits in der Statistik sichtbar. Die »Bad Loans« sanken seit Jahresbeginn von 203 auf 173 Mrd. EUR (vgl. Abb. 10). Gleichzeitig stieg die Abschreibungsquote auf die faulen Kredite von 57% auf 62%. Der nun noch notwendige Abschreibungsbedarf auf den Bestand notleidender Kredite dürfte bei 20 bis 30 Mrd. EUR liegen.[4] Eine insgesamt überschaubare Summe. Solange die Konjunktur läuft, sollten von der Bankenseite keine grösseren Schockwellen mehr ausgehen, wenn auch der Bankenstresstest der EZB im 2. Halbjahr 2018 das Thema zurück auf die Tagesordnung bringen könnte.
Eng verknüpft mit der Banken- ist die Staatschuldenkrise. Mit einem öffentlichen Schuldenstand von 132% des BIP weist Italien eine der höchsten Quoten der Welt auf. Innerhalb der Eurozone steht es nach Griechenland (180% des BIP), aber noch vor Portugal (127%), an zweiter Stelle der Schuldensünder. Aktuell ist die Konstellation zur Reduzierung des Schuldenabbaus indes gar nicht so schlecht.
Das Nominalwachstum Italiens dürfte dieses Jahr 2,5% bis 3,0% erreichen und damit in etwa so hoch liegen wie der Durchschnittszins auf die Staatsschuld. Dieser ist im Zuge der Niedrigzinspolitik der EZB von 5,0% (2008) auf inzwischen 2,8% gefallen – Tendenz weiter sinkend. Schliesslich muss Italien bei neu emittierten 7-jährigen Staatsanleihen (= durchschnittliche Laufzeit italienischer Staatsschulden) nur noch einen Kupon von 1,2% bieten.
Unter dieser Konstellation (Nominalzins = Nominalwachstum) reicht ein ausgeglichener primärer Budgetsaldo (= Saldo ohne Zinszahlungen) aus, um die Schuldenquote stabil zu halten. Aktuell erzielt Italien sogar einen primären Budgetüberschuss von 1,5% bis 2,0% des BIP. Mit anderen Worten, in den nächsten beiden Jahren bestehen gute Chancen, dass die Staatschuldenquote unter 130% des BIP fällt (vgl. Abb. 11).
Abb. 11: Staatsschulden Spielball des Wachstums

Mittelfristig dürfte sich die Differenz zwischen Nominalwachstum und Nominalzins wieder etwas ausweiten. Zum einen weil die EZB in den nächsten Jahren aus der ultraexpansiven Geldpolitik aussteigt und damit die Zinsen steigen. Zum anderen weil früher oder später wieder eine konjunkturelle Schwächephase einsetzt. In einem günstigen Szenario dürfte sich die Differenz bei einem Prozentpunkt stabilisieren (unsere Annahme: durchschnittliches Nominalwachstum 2,5%, Nominalzins 3,5%).[5] Dies setzt allerdings voraus, dass es Italien gelingt, das Potentialwachstum wieder Richtung 1,0% anzuheben. In diesem Fall würde ein primärer Budgetüberschuss von 1,5% bis 2,0% des BIP ausreichen, um die Staatsschuldenquote weiter abzusenken (vgl. Abb. 11).
Kehrt das Produktivitäts- und damit auch das Potentialwachstum indessen zur Nulllinie zurück (wie in der Zeit zwischen 1999 und 2014), wird sich die Wachstums-Zins-Differenz auf über 2,00% ausweiten. In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass der Schuldenstand in den Jahren ab 2020 erneut ansteigt und Italien ein ernsthaftes Bonitätsproblem bekommt. Auch die Lösung der Schuldenproblematik setzt somit voraus, dass es Italien gelingt, dauerhaft einen höheren Wachstumspfad zu beschreiten.
Kein politischer Aufbruch in Sicht
Nach dem bislang Gesagten steht die Politik in den nächsten Jahren weiterhin unter starkem Handlungsdruck. Den anstehenden Parlamentswahlen (Abgeordnetenkammer und Senat) am 4. März kommt daher grosse Bedeutung zu. Im Vorfeld hatten sich die Parteien auf ein zweigeteiltes Wahlsystem geeinigt. Gut ein Drittel der Parlamentssitze geht an die Sieger in den Wahlkreisen. Die restlichen zwei Drittel der Sitze werden proportional nach den Stimmenanteilen der Parteien vergeben.
Abb. 12: Unklare Machtverhältnisse

Werden die Umfragen betrachtet (vgl. Abb. 12), hat die aktuell regierende Partito Democratico (PD) an Wählergunst verloren und kommt selbst mit ihren Verbündeten bestenfalls auf 25% bis 30% der Stimmen. Eine Fortsetzung der amtierenden Regierung ist daher nicht zu erwarten.
Die stärkste Einzelpartei ist in den Wählerbefragungen derzeit die populistische 5-Sterne-Bewegung (M5S). Allerdings ist sie mit knapp 30% deutlich von der absoluten Mehrheit entfernt. Ausserdem wird sie vom Wahlrecht benachteiligt, da sie am wenigsten regional verankert ist und keine Bündnisse eingeht. Bei den Direktmandaten dürfte sie infolgedessen schlechter abschneiden als die arrivierten Parteien. Damit ist zugleich der Eintritt des Schreckensszenarios der Märkte – eine Regierung unter der Führung der euroskeptischen 5-Sterne-Bewegung – äusserst unwahrscheinlich geworden.
Im Aufwind befinden sich dagegen die drei rechtsgerichteten Parteien (Forza Italia, Lega, Fratelli d’Italia), die bereits ein Wahlbündnis geschlossen haben und laut Umfragen mit 35% bis 38% der Wählerstimmen rechnen können. Dank des Wahlrechts dürfte bereits ein Stimmenanteil von 40% genügen, um die absolute Mehrheit der Sitze zu erobern.
Insgesamt erscheinen damit zwei Konstellationen am wahrscheinlichsten: entweder ein Sieg der rechtskonservativen Parteien oder eine »grosse« Koalition aus PD und Forza Italia. Letzteres dürfte aus Marktsicht den grössten Charme besitzen, da sich damit die gemässigten Kräfte verbünden würden. Wahrscheinlich würde man sich aber auch mit einer Rechtsregierung – mit Silvio Berlusconi als Strippenzieher – arrangieren.
Im Ergebnis dürfte der Ausgang der Wahlen kurzfristig keine allzu grossen Wellen an den Finanzmärkten schlagen. Mittelfristig ist die politische Zersplitterung aber problematisch. Der notwendige Aufbruch und die Fortführung der eingeleiteten Reformpolitik zur Hebung des Produktivitätswachstums sind auf absehbare Zeit nicht in Sicht.
Vielmehr überbieten sich die Parteien mit teuren Wahlkampfversprechen. Allen voran sollen Teile der Rentenreform von 2011 rückgängig gemacht werden (insbesondere die Anhebung des Renteneintrittsalters), die Steuern kräftig gesenkt, der Mindestlohn erhöht und ein »würdiges« Grundeinkommen bezahlt werden. Selbst Renzi und Berlusconi neigen darüber hinaus zu einem eurokritischen Zungenschlag. So würde Renzi eine Lockerung des Fiskal-pakts begrüssen und will härter gegen Brüssel auftreten. Berlusconi hat wiederum noch vor Kurzem einer Parallelwährung zum Euro das Wort geredet.
Fazit: Es droht der Rückfall in alte Zeiten
Die Verbesserung des wirtschaftlichen Umfelds hat in Italien die Banken- und Schuldenkrise sowie die politischen und strukturellen Schwierigkeiten aus den Schlagzeilen verdrängt – vorerst. Es herrscht eine Phase trügerischer Ruhe, die noch eine Weile anhalten dürfte. Selbst die Wahlen am 4. März sollten daran nichts ändern. Die Regierungsbildung wird zwar schwierig, die gemässigten Kräfte (im linken Lager die PD und im rechten Lager Forza Italia) dürften sich jedoch nochmals durchsetzen und gemeinsam oder innerhalb ihrer Blöcke eine Regierung bilden.
Es fehlt indes der Glaube, dass die neue – aller Voraussicht nach sehr heterogene – Regierung die Kraft besitzt, eine Modernisierungswelle zu initiieren und damit den angestossenen Reformprozess fortzusetzen. Das Potentialwachstum bleibt entsprechend auf tiefem Niveau. Sind die Nachholeffekte erst einmal abgearbeitet, droht damit die Rückkehr zur Stagnation. In der Konsequenz endet zwangsläufig jeder Abschwung in der Rezession, was bereits 2019/2020 der Fall sein könnte. Dann wird wieder der Ruf nach dem Altbewährten ertönen. Die einen werden einen Euro-Austritt fordern (um wieder abzuwerten), die anderen eine Vergemeinschaftlichung der Schulden verlangen. Ein solcher Rückgriff auf die Rezepte der Vergangenheit hat aber bekanntermassen bereits im Fussball nicht funktioniert. Italien ist zu einer modernen Offensivstrategie verdammt.
[1] In Italien sind laut EU-Kommission knapp 80% der Beschäftigten in kleinen Unternehmen tätig (versus 67% im EU-Schnitt).
[2] Beispiele dafür sind der »Doing Business Index« bzw. die »Worldwilde Governance Indicators« (WGI) der Weltbank, der »Global Compitiveness Index« des World Economic Forums (WEF) sowie verschiedene Rankings der EU-Kommission.
[3] Man unterscheidet zwischen Bad Loans (Kreditnehmer ist insolvent) und Unlikely-to-pay bzw. Past-due Exposures (Kreditnehmer sind im Zahlungsverzug bzw. es bestehen Zweifel an einer vollständigen Kreditrückzahlung). Das Volumen der Bad Loans betrug Ende 2017 rund 170 Mrd. EUR, die anderen Kategorien lagen Mitte 2017 bei 120 Mrd. EUR.
[4] Um faule Kredite am Markt zu verkaufen, müssen sie nach den jüngsten Erfahrungen um 70% bis 80% abgeschrieben werden.
[5] Beim Nominalwachstum werden 1,0% Realwachstum und 1,5% Inflation unterstellt. Die italienischen Renditen (7 Jahre Laufzeit) dürften auf absehbare Zeit kaum die 4%-Marke erreichen, dazu müsste die EZB den Leitzins um mehr als 250 Bp anheben und/oder sich die Risikoaufschläge kräftig ausweiten.
Rechtlicher Hinweis
Die in diesem Beitrag gegebenen Informationen, Kommentare und Analysen dienen nur zu Informationszwecken und stellen weder eine Anlageberatung noch eine Empfehlung oder Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Anlageinstrumenten dar. Die hier dargestellten Informationen stützen sich auf Berichte und Auswertungen öffentlich zugänglicher Quellen. Obwohl die Bantleon AG der Auffassung ist, dass die Angaben auf verlässlichen Quellen beruhen, kann sie für die Qualität, Richtigkeit, Aktualität oder Vollständigkeit der Angaben keine Gewährleistung übernehmen. Eine Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die sich aus der Nutzung dieser Angaben ergeben, wird ausgeschlossen. Die Wertentwicklung der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf die künftige Wertentwicklung zu.

Rechtlicher Hinweis
Die in diesem Beitrag gegebenen Informationen, Kommentare und Analysen dienen nur zu Informationszwecken und stellen weder eine Anlageberatung noch eine Empfehlung oder Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Anlageinstrumenten dar. Die hier dargestellten Informationen stützen sich auf Berichte und Auswertungen öffentlich zugänglicher Quellen. Obwohl die Bantleon AG der Auffassung ist, dass die Angaben auf verlässlichen Quellen beruhen, kann sie für die Qualität, Richtigkeit, Aktualität oder Vollständigkeit der Angaben keine Gewährleistung übernehmen. Eine Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die sich aus der Nutzung dieser Angaben ergeben, wird ausgeschlossen. Die Wertentwicklung der Vergangenheit lässt keine Rückschlüsse auf die künftige Wertentwicklung zu.