Analyse
6. Februar 2018

Bank of Japan kann sich noch nicht zurücklehnen

In den USA ist die geldpolitische Wende bereits seit über zwei Jahren im Gang und die EZB hat vor knapp einem Jahr begonnen, den geldpolitischen Stimulus zurückzufahren. Selbst die Bank of Japan scheint einen Kurswechsel zu vollziehen, da sie seit Herbst 2016 schrittweise das Volumen der neu angekauften Staatsanleihen reduziert. Ist also auch die BoJ klammheimlich auf dem Weg, die geldpolitischen Zügel anzuziehen?

Die Gründe, die solch einen Kurswechsel rechtfertigen würden, sind unseres Erachtens nicht stichhaltig: Die Kerninflationsraten sind zwar zuletzt gestiegen, bleiben aber immer noch weit hinter dem Ziel der Notenbank zurück. Gleichzeitig steht bei den strategisch wichtigen Inflationserwartungen und dem Lohnwachstum der notwendige Durchbruch nach oben immer noch aus. Darüber hinaus sprechen sogar einige Faktoren dafür, dass die Teuerungsraten künftig wieder sinken könnten.

Vor diesem Hintergrund wäre ein baldige Rückführung des geldpolitischen Stimulus mit erheblichen Risiken verbunden. Das zaghaft spriessende Pflänzchen der Reflationierung könnte dadurch wieder erstickt werden. Wir gehen daher davon aus, dass die Notenbank an den zentralen Stellgrössen der japanischen Geldpolitik – dem Leitzins von -0,10% und dem Renditeziel für 10-jährige Staatsanleihen von 0,00% – weiter festhalten wird. Japan bleibt damit ein Hort der ultraexpansiven Geldpolitik.

BoJ vor dem Kurswechsel?

In den USA ist die geldpolitische Wende seit über zwei Jahren in vollem Gang – die Fed-Funds-Rate wurde inzwischen um 125 Bp angehoben und die Notenbankbilanz schrumpft seit vergangenem Herbst wieder. Die EZB hat immerhin vor knapp einem Jahr damit begonnen, den Stimulus durch eine Reduktion der Anleihenkäufe zurückzufahren und die erste Leitzinsanhebung steht hier für das 1. Halbjahr 2019 im Raum. Und selbst Japan scheint einen Kurswechsel zu vollziehen. Seit die BoJ im September 2016 ein explizites Ziel für die Renditen 10-jähriger Staatsanleihen ausgerufen hat (um 0,0%), ist das Volumen der neu angekauften JGBs spürbar geschrumpft (von ca. 80 Bio. Yen auf ca. 60 Bio. Yen pro Jahr, vgl. Abb. 1). Ist also auch Japan klammheimlich auf dem Weg, im Verbund mit den anderen grossen Industrienationen die geldpolitischen Zügel anzuziehen?

Abbildung 1: BoJ kann ihr Renditeziel mit immer weniger Anleihenkäufen erreichen

Quellen: BoJ, Bloomberg, Bantleon

Als Begründung für eine weniger expansive Geldpolitik werden in Japan vor allem Erfolge bei der Bekämpfung der Deflation angeführt. So erreichte die im Fokus der BoJ stehende Kerninflationsrate (bei der lediglich frische Nahrungsmittel, nicht aber Energiekomponenten ausgeklammert werden) mit einem Plus von 0,9% den höchsten Wert seit mehr als 1½ Jahren (vgl. Abb. 2).

Abbildung 2: Kerninflationsraten haben zuletzt nach oben gedreht

Quellen: Statistics Bureau, Bantleon

Des Weiteren hat das robuste Wirtschaftswachstum der vergangenen drei Jahre dazu geführt, dass die Outputlücke (als Mass für die Unterauslastung der Wirtschaft) inzwischen geschlossen ist, was für weiter zunehmenden Teuerungsdruck spricht. Wirtschaftsminister Toshimitsu Motegi sieht Japan entsprechend auf gutem Weg, die Deflation hinter sich zu lassen. Nicht zuletzt wurden Ausführungen des Notenbankpräsidenten Haruhiko Kuroda Ende vergangenen Jahres, in denen er auf die schädlichen Nebenwirkungen negativer Zinsen einging, als Hinweis auf einen bevorstehenden Kurswechsel in der Geldpolitik gewertet.

Klare Hinweise auf ein Ende der Deflation?

Wie zuverlässig sind aber die Belege für eine nachhaltig anziehende Inflationsdynamik, die ein Zurückrudern der BoJ rechtfertigen würde? Was zunächst die Äusserungen Kurodas angeht, darf nicht übersehen werden, in welchem Zusammenhang sie erfolgten. Bei ihnen handelte es sich nämlich um eine Begründung, warum die Notenbank nicht noch expansiver agieren sollte. Genau das fordert der im Sommer neu in das geldpolitische Entscheidungsgremium der Bank of Japan aufgenommene Gouverneur Goshi Kataoka. Konsequent stimmt er seither bei jeder Notenbanksitzung für zusätzliche Zinssenkungen. Kuroda musste daher erläutern, warum die BoJ dieser Forderung nicht nachkommt.

Wie sieht es mit den anderen Gründen für eine weniger expansive geldpolitische Gangart aus? In Abb. 3 ist zu erkennen, dass die geschlossene Outputlücke bzw. die darin zum Ausdruck kommenden Kapazitätsengpässe tatsächlich auf einen wachsenden Teuerungsdruck hindeuten. Die wichtigste Voraussetzung für steigende Inflationsraten ist also mittlerweile gegeben. Allerdings bewegt sich die Outputlücke mit +1,5% immer noch auf relativ niedrigem Niveau. Dem historischen Vergleich zufolge reichen die nur langsam zunehmenden Engpässe nicht aus, die Inflationsrate nachhaltig auf das 2%-Zielniveau der BoJ anzuheben (vgl. Abb. 3).

Abbildung 3: Zunehmende Kapazitätsengpässe als wichtigste Voraussetzung für Inflation

Quellen: Statistics Bureau, BoJ, Bantleon

Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Notenbank die Anforderungen an das Inflationsziel im Herbst 2016 merklich verschärft hat. Als Kernelement der damals ausgeweiteten Forward Guidance hiess es: »Im Mittel eines gesamten Konjunkturzykluss soll die Inflationsrate bei 2,0% liegen. In Anbetracht der umfangreichen Zielunterschreitungen der Vergangenheit strebt die Geldpolitik daher eine Inflationsrate stabil über 2,0% an.« Faktisch liegt das Inflationsziel also eher bei 3,0% als bei 2,0%, weshalb ein Zurückrudern zum jetzigen Zeitpunkt trotz geschlossener Outputlücke nur schwer zu rechtfertigen ist. Über einen längeren Zeitraum hinweg lag die Kerninflation zuletzt vor über 25 Jahren im Bereich von 3,0%.

Abbildung 4: Der abwertungsbedingte Teuerungsdruck lässt wieder nach …

Quellen: Statistics Bureau, BoJ, Bantleon

Darüber hinaus gibt es auch Gründe, die für schon bald wieder sinkende Inflationsraten sprechen. An erster Stelle ist das der nachlassende währungsbedingte Teuerungsdruck. Im vergangenen Jahr wertete der japanische Yen gegenüber den Währungen der wichtigsten Handelspartner nur noch um rund 4,0% ab. Verglichen mit den durchschnittlich ‑13,0% in den Jahren 2012 bis 2014 – die damals zu einer merklichen Verteuerung der Einfuhren führte – ist das wenig. Mit anderen Worten: der Teuerungsschub von dieser Seite ist dabei auszuklingen. In den Importpreisen ist das bereits zu sehen (vgl. Abb. 4).

Abbildung 5: … und auch der Aufwärtsdruck vom Rohölpreis schwindet

Quellen: Statistics Bureau, Bloomberg, Bantleon

Schliesslich dürfte auch der Preisauftrieb an Kraft verlieren, der in den zurückliegenden Quartalen vom anziehenden Ölpreis ausgegangen ist. Das zeigt sich in der eingangs erwähnten Kerninflationsrate, die – anders als international üblich – Energie­komponenten beinhaltet und die auf 0,9% geklettert ist. Der über 60%-ige Anstieg des Rohölpreises 2016 und 2017 (WTI) war dabei der zentrale Preistreiber (vgl. Abb. 5). Geht man davon aus, dass sich diese Verteuerung im laufenden Jahr nicht wiederholt, sondern sich der Preis in etwa auf dem aktuellen Niveau einpendelt (oder sich der Preisanstieg auch nur verlangsamt), werden die herausfallenden statistischen Basiseffekte aus dem Vorjahr die Kerninflationsrate wieder nach unten drücken.

Anziehende Inflationserwartungen als wichtiges Element der Reflationierung

Ein wichtiger Bestandteil der Reflationierungsstrategie der BoJ sind anziehende Inflationserwartungen. Nur wenn Unternehmen und Verbraucher mit einem dauerhaft zunehmenden Teuerungsdruck rechnen, werden sie dies auch im Preissetzungs- und Lohnfindungsprozess berücksichtigen, was einen selbsttragenden Aufwärtstrend der Teuerung unterstützen würde. Die BoJ weist auf diesen Zusammenhang regelmässig hin. Wie sieht es aber mit den Inflationserwartungen aus? Zeichnet sich hier ein Durchbruch ab, den die Währungshüter als Erfolgsbeweis ihrer Strategie ansehen könnten? Mitnichten. Die Erwartungen der privaten Haushalte und Unternehmen bewegen sich immer noch auf tiefen Niveaus. Als Hoffnungsschimmer kann allenfalls angeführt werden, dass sie zuletzt nicht weiter gesunken sind. Eine spürbare Erholung steht indes immer noch aus (vgl. Abb. 6). Von der erhofften Rückkopplung auf die Inflationsraten ist noch nichts zu sehen.

Abbildung 6: Inflationserwartungen fallen nicht mehr, ziehen aber auch noch nicht an

Quellen: Statistics Bureau, BoJ, Bantleon

Kräftige Lohnsteigerungen vonnöten

Ein weiteres bedeutendes Element beim Vorhaben, Inflation zu erzeugen, sind steigende Löhne. Ähnlich wie bei den Kerninflationsraten ist auch hier eine erfreuliche Entwicklung zu beobachten. Seit nunmehr drei Jahren sinken die Löhne nicht mehr, sondern ziehen langsam an – in Anbetracht der vorangegangenen 15 Jahre mit stetig schrumpfenden Salären ist das durchaus positiv zu werten. Allerdings lassen die von der Regierung angestrebten kräftigen Lohnsteigerungen immer noch auf sich warten. Und das, obwohl die Arbeitslosenquote auf dem tiefsten Niveau seit Jahrzehnten angekommen ist (vgl. Abb. 7).

Abbildung 7: Löhne steigen endlich wieder – wenn auch nur moderat

Quellen: Statistics Bureau, MHLW, Bantleon

Mit den steuerlichen Anreizen, die von der Regierung im vergangenen Herbst geschaffen wurden, besteht zwar die Hoffnung, dass bei den jährlichen Lohnverhandlungen in diesem Frühjahr endlich höhere Abschlüsse realisiert werden. Die Unternehmen können ihre Steuerzahlungen künftig um einen Teil der gewährten Lohneerhöhungen reduzieren – maximal kann so die effektive Steuerlast von knapp 30% auf 25% gedrückt werden. Ähnliche, wenn auch weniger umfangreiche Anreize, sind in der Vergangenheit aber ohne grosse Wirkung verpufft. Es bleibt daher abzuwarten, ob die Löhne dieses Mal endlich stärker steigen.

Abbildung 8: Erfolgreiche Abenomics zeigen sich im steigenden Arbeitskräftepotential

Quellen: Statistics Bureau, OECD, Bantleon

Skepsis ist bei den Löhnen vor allem deswegen geboten, weil nach wie vor Kräfte am Werk sind, die gegen stärkere Zuwächse sprechen. Tragischerweise stellen sich dabei ausgerechnet die Abenomics selbst ein Bein. Den Bestrebungen der Regierung unter Premierminister Shinzo Abe, die schrumpfende Erwerbsbevölkerung durch eine stärkere Integra­tion von Frauen ins Berufsleben auszugleichen, ist unerwartet grosser Erfolg beschert. Der demographisch bedingte Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter konnte dadurch mehr als wettgemacht werden – das Arbeitskräftepotential ist sogar gestiegen (vgl. Abb. 8).

Das ist auf der einen Seite mit ein Grund, warum die japanische Wirtschaft in den vergangenen drei Jahren so stetig wachsen konnte. Auf der anderen Seite mindert das zunehmende Arbeitskräftepotential aber die Engpässe an den Arbeitsmärkten und wirkt damit kräftig steigenden Löhnen entgegen.

Geldpolitischer Kurswechsel noch nicht angebracht

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die Trendwende bei den Löhnen, die geschlossene Outputlücke und die zuletzt gestiegenen Kerninflationsraten machen Hoffnung, dass die über Jahre hinweg allmächtige Deflation in Japan zu Ende geht. Die Anzeichen für einen nachhaltigen Anstieg der Inflation sind indes sehr vage – der Durchbruch nach oben steht immer noch aus. In Anbetracht des wieder nachlassenden Inflationsschubs von den Energiepreisen und der Währungsabwertung ist sogar zu befürchten, dass sich die Kerninflationsraten erneut vom Ziel der Notenbank entfernen.

Vor diesem Hintergrund wäre eine baldige Rückführung des geldpolitischen Stimulus in unseren Augen mit erheblichen Risiken verbunden. Das zaghaft spriessende Pflänzchen der Reflationierung könnte wieder erstickt werden, indem vor allem die Inflationserwartungen einen Dämpfer erhalten. Notenbankpräsident Haruhiko Kuroda hat auf diese Problematik immer wieder hingewiesen und gemahnt, nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, als die Stimuli zu früh zurückgefahren wurden. Wir gehen davon aus, dass diese Sichtweise auch nach dem Ende der aktuellen Amtszeit Kurodas Anfang April eine zentrale Leitlinie der BoJ bleibt. Premierminister Shinzo Abe hat bislang nicht erkennen lassen, dass er die Reflationierungsbemühungen künftig weniger massiv vorantreiben will. Folglich dürfte entweder Kuroda erneut berufen oder ein Nachfolger bestimmt werden, der den gleichen Kurs fährt.

Zu guter Letzt bleibt anzumerken, dass sich auch aus der eingangs angesprochenen internationalen Perspektive keine überzeugenden Argumente für einen weniger expansiven Kurs ergeben. Obwohl in den USA in den vergangenen zwei Jahren die Geldpolitik merklich gestrafft wurde – während Japan unverändert einen ultraexpansiven Kurs fuhr – hat die japanische Währung nicht gegenüber dem USD ab-, sondern aufgewertet. Und selbst wenn der Yen künftig gegenüber dem USD an Wert verlieren würde, wäre das kein Problem, sondern vielmehr eine erwünschte (Neben-)Wirkung der Geldschwemme: Mittels steigender Importpreise und einer Ankurbelung der Exportwirtschaft würden sich die Reflationierungsbemühungen der BoJ sogar verstärken.

Abbildung 9: Noch kein Ende der Ultra-Tiefzinspolitik in Sicht

Quellen: BoJ, Bloomberg, Bantleon

Fazit: Zinskurvensteuerung dürfte unverändert bleiben

Alles in allem sehen wir es als sehr wahrscheinlich an, dass die zentralen Grössen der japanischen Geldpolitik nicht so schnell angepasst werden. Weil die Notenbank einen immer grösseren Anteil der ausstehenden Staatsanleihen besitzt (aktuell ca. 40%) könnte es zwar sein, dass sie künftig noch weniger Anleihen ankaufen muss, um die Zinsen stabil zu halten. An der im Herbst 2016 in den Mittepunkt gerückten Zinskurvensteuerung dürfte sie indes unverändert festhalten: Der Leitzins sollte im laufenden Jahr bei -0,10% und das Ziel für die Renditen 10‑jähriger Staatsanleihen bei 0,00% bleiben (vgl. Abb. 9). Japan bleibt damit ein Hort der ultraexpansiven Geldpolitik.

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