Vertrauen in den Disinflationstrend hat zugenommen
Anders als kurz zuvor die Schweizer Nationalbank (SNB) hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Märkte im Rahmen der jüngsten Notenbanksitzung nicht überrascht. Die Währungshüter in Frankfurt senkten den Leitzins – die Depositenrate – erwartungsgemäß das vierte Mal in diesem Jahr um 25 Basispunkte von 3,25% auf 3,00%. Offenbar hat nur eine kleine Minderheit im EZB-Rat für einen größeren Schritt von 50 Basispunkte plädiert.
Begründet wurde die erneute Lockerung der Geldpolitik mit dem wachsenden Vertrauen in die Stabilität des Disinflationstrends. Die Währungshüter gehen davon aus, dass das Erreichen des Inflationsziels nunmehr in Reichweite liegt. Dies spiegelt sich auch in den neuen offiziellen Inflationsprognosen der Notenbank wider (siehe Tabelle).
Demnach liegt die Projektion zum wiederholten Male sowohl für die Headline-Teuerungsrate als auch die Kerninflation ab Mitte 2025 bei rund 2,0% und wird auf diesem Niveau für längere Zeit fortgeschrieben. Auch im Hinblick auf den Lohndruck gebe es immer mehr Indizien, wonach dieser im nächsten Jahr spürbar abnimmt. Gleichzeitig wird der Ausblick für das Wachstum von den Währungshütern skeptischer beurteilt als noch im September (siehe Tabelle). Die Daten hätten in dieser Hinsicht zuletzt enttäuscht.
EZB-Projektionen vom Dezember 2024
Quelle: EZB, * Jahresdurchschnitt | in Klammern Projektionen vom September 2024
In Anbetracht dessen hat die EZB zwei entscheidende Anpassungen in ihrem Ausblick vorgenommen. Zum einen würden bei der Inflation nicht mehr die Aufwärtsrisiken dominieren. Vielmehr sei das Risikoprofil nunmehr ausgeglichen. Zum andern sei es nicht mehr notwendig, die Geldpolitik für längere Zeit »restriktiv« auszurichten. Damit haben die Währungshüter unmissverständlich deutlich gemacht, dass in den nächsten Monaten weitere Zinssenkungen folgen werden.
Zinsausblick bleibt sehr vage
Während der Pressekonferenz zum Zinsentscheid wollte Notenbankpräsidentin Christine Lagarde aber einmal mehr zum Tempo und Ausmaß der Leitzinssenkungen keine genauen Angaben machen. Über die Höhe des neutralen Leitzinsniveaus sei nicht einmal diskutiert worden. Die Debatte darüber werde erst in den nächsten Monaten anlaufen. Verschiedene Aussagen von EZB-Vertretern in den vergangenen Wochen deuten hier auf einen gewissen Dissens hin. Während die Falken den neutralen Satz bei rund 2,50% verorten, gehen die Tauben eher von 2,00% aus.
Wer sich darüber hinaus einen Hinweis erhofft hatte, dass im Rahmen der nächsten Sitzung möglicherweise ein größerer Zinsschritt um 50 Basispunkte folgen werde, sah sich ebenfalls enttäuscht. Lagarde hielt am Mantra der Meeting-by-Meeting-Entscheidungen fest, d.h., es wird jeweils nach der aktuellen Datenlage entschieden. Eine Vorfestlegung auf einen bestimmten Leitzinspfad erfolge nicht. Die EZB lässt somit beim Leitzinsausblick weiterhin klare Leitplanken vermissen.
EZB auf dem Weg in Richtung Neutralität
Alles in allem ist auch nach unserem Dafürhalten das Inflationsziel der EZB in Reichweite gerückt. Gleichzeitig ist das Wachstum zwar schwach, hält sich aber mit knapp 1,0% (im Vorjahresvergleich) in der Nähe der Potentialrate (1,0% bis 1,5%). In Anbetracht dessen macht es Sinn, den Leitzins in der Eurozone auf eine neutrale Rate zurückzuführen. Wo genau das neutrale Niveau liegt, ist zwar unklar. Gängige Schätzungen taxieren es jedoch für die Eurozone auf 2,00% bis 2,50%. Wir gehen daher davon aus, dass der Leitzins im Rahmen der kommenden Sitzungen um jeweils weitere 25 Basispunkte gesenkt wird. Das Zielniveau sehen wir bei 2,25% (April) bzw. 2,00% (Juni). Ab Mitte 2025 sollte sich die konjunkturelle Lage in der Eurozone stabilisieren. Eine Senkung unter das neutrale Leitzinsniveau ist daher in unseren Augen nicht erforderlich. Voraussetzung dafür ist, dass der Handelskonflikt mit den USA nicht eskaliert.