Die Herausforderungen könnten kaum grösser sein
Chinas Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Erstens droht eine Neuauflage des Handelskriegs mit den USA. Donald Trump hat mit 60%igen Zöllen auf alle Importe aus China eine massive Eskalation des Konflikts in Aussicht gestellt. Die Handelsbarrieren würden damit deutlich stärker als in seiner ersten Amtszeit angehoben und China entsprechend noch empfindlicher getroffen (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Trübe Aussichten für Chinas Exporte
Quellen: US International Trade Commission, Bantleon; * Zolleinnahmen in % der Importe
Zweitens führt das Gesundschrumpfen der Bauwirtschaft seit geraumer Zeit zu konjunkturellem Gegenwind. Zusätzlich zu den direkten wachstumsdämpfenden Effekten sind hier drittens immer mehr indirekte Bremswirkungen auszumachen. Nicht nur, dass die steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Vermögen den privaten Konsum unter Druck bringen. Der Einbruch der Bautätigkeit stellt vor allem die Gebietskörperschaften vor Probleme. Sie haben bisher einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen aus Landverkäufen erzielt und kommen daher in wachsende Finanzierungsschwierigkeiten. In der Folge weichen sie vermehrt auf die intransparente und unkontrollierte Schuldenaufnahme über Schattenhaushalte aus.[1]
Die chinesische Regierung hat angesichts dieser vielfältigen Belastungen bereits im Frühjahr begonnen, der Wirtschaft mit verschiedenen Stimuli unter die Arme zu greifen. Besonderes Aufsehen erregte im September die bislang beispiellose konzertierte Stützungsaktion der Geld- und Fiskalpolitik. Dabei wurden sowohl die wichtigsten Leitzinsen deutlich gesenkt als auch große Geldsummen zur Stützung von Regionalregierungen, Verbrauchern und Finanzinstituten angekündigt. Die fiskalischen Hilfen wurden allerdings zunächst nur grob skizziert und erst in den folgenden Wochen schrittweise konkretisiert. Daher ist es geboten, eine Standortbestimmung vorzunehmen. Welche Massnahmen wurden ergriffen, was wurde darüber hinaus in Aussicht gestellt und wie wirksam dürften die Instrumente sein?
10 Bio. Yuan zur Bekämpfung von Finanzstabilitätsrisiken
Am meisten Geld kommt den Provinzen zugute: Die Lokalregierungen dürfen in den kommenden vier Jahren insgesamt 10 Bio. Yuan zusätzlich an Anleihen begeben (entspricht knapp 8% des aktuellen BIP). Durch diese Anhebung der Schuldengrenze sollen die Provinzen in die Lage versetzt werden, einen Teil der Verbindlichkeiten abzulösen, die sie unter Umgehung der bislang geltenden Limite über Schattenhaushalte aufgenommen haben. Das Finanzministerium beziffert diese illegalen Schulden auf rund 14 Bio. Yuan. Das dürfte aber eine Untertreibung sein – der IWF schätzt sie rund viermal so hoch.
Die Regierung hat mit der Anhebung der Schuldenobergrenze gleichzeitig verlauten lassen, dass sie die bisherige Umgehungspraxis streng unterbinden will. Mithin stellen die künftig emittierten Anleihen im Volumen von 10 Bio. Yuan kein zusätzliches Geld und entsprechend keinen direkten expansiven Fiskal-
impuls dar. Gleichwohl sollte der finanzielle Spielraum der Gebietskörperschaften zunehmen, weil mit dem Schuldentausch Zinsersparnisse von rund 500 Mrd. Yuan in den nächsten vier Jahre einhergehen dürften. Verglichen mit den im Vordergrund stehenden zusätzlichen Anleihen in Höhe von 10 Bio. Yuan scheint das zwar wenig zu sein. Der Hauptgrund für den Schuldentausch ist jedoch nicht, die Wirtschaft zu stimulieren, sondern die mit den Schattenhaushalten einhergehenden Risiken für die Finanzstabilität einzudämmen.
Bereits lancierte Konjunkturstimuli
Mit Blick auf die unmittelbaren Hilfen zur Ankurbelung der Wirtschaft, ist Peking indes nicht untätig geblieben, sondern hat neben den kräftigsten geldpolitischen Lockerungen seit vielen Jahren ein ganzes Bündel weiterer Maßnahmen auf den Weg gebracht:
- Bereits im Frühjahr wurden Kaufprämien für Konsum- und Industriegüter im Umfang von zusammen rund 300 Mrd. Yuan angekündigt und im Sommer konkretisiert. So wird die Anschaffung energieeffizienter Haushaltsgeräte mit bis zu 2.000 Yuan und umweltfreundlicher Autos mit bis zu 20.000 Yuan (rund 2.600 EUR) bezuschusst. Das überraschend starke Wachstum der Einzelhandelsumsätze im Oktober von +4,8% gegenüber dem Vorjahr (nach +3,2% im September) zeigt, dass diese Instrumente inzwischen die gewünschte Wirkung entfalten.
- Die Zinsen auf bestehende Hypotheken wurden um 50 Basispunkte gesenkt, was nach Aussage von Notenbankpräsident Pan Gongsheng den privaten Haushalten Zinsersparnisse in Höhe von rund 150 Mrd. Yuan pro Jahr bescheren wird.
- Zur Unterstützung des Immobilienmarktes wurden die Eigenmittelanforderungen beim Wohnungskauf erneut gelockert. Für Zweitwohnungen war die Eigenmittelquote bereits im Mai von 30% auf 25% gesenkt worden – im September wurde sie weiter auf 15% reduziert. Diese Maßnahme soll helfen, den immensen Angebotsüberhang zum Verkauf stehender Häuser abzubauen. Die Oktober-Daten zu den Immobilienverkäufen deuten darauf hin, dass auch hier bereits erste Erfolge zu verzeichnen sind.
- Auf eine Verringerung des Angebotsüberhangs zielen darüber hinaus die rund 2,7 Bio. Yuan ab, die den Lokalregierungen unter anderem zum Kauf leerstehender Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Hierbei handelt es sich zwar nicht um frisches Geld, sondern größtenteils um bereits emittierte Staatsanleihen, deren Auktionserlöse noch nicht verwendet wurden. Dieses Geld kann nun jedoch unverzüglich eingesetzt werden, womit der Rückenwind von dieser Seite grösser ausfällt und schneller wirkt, als bis vor kurzem anzunehmen war.
Weitere Hilfen in Aussicht
Zusammengenommen belaufen sich die bereits lancierten direkten Unterstützungen für den privaten Konsum auf ca. 450 Mrd. Yuan, was rund 0,3% des aktuellen BIP entspricht. Von einer Bazooka kann daher zwar nicht die Rede sein. Allerdings hat die Regierung klar gemacht, dass sie noch viele Pfeile im Köcher hat. So wurden zusätzliche direkte Konsumhilfen im Umfang von 1.000 Mrd. Yuan in Aussicht gestellt (≈ 0,8% des BIP). Die gleiche Summe ist zur Rekapitalisierung der Banken im Gespräch. Dass Peking hier bislang vage geblieben ist und keine konkreten Maßnahmen genannt hat, dürfte mit den unsicheren Perspektiven beim drohenden Handelskonflikt mit den USA zusammenhängen. Offensichtlich will sich die Regierung ihr Pulver trocken halten.
Unterstützungsbedarf hängt vom Ausmaß des drohenden Zollkriegs ab
Schon der Handelskrieg in Trumps erster Amtszeit hat das Reich der Mitte empfindlich getroffen. Seit 2018 sind knapp die Hälfte aller Ausfuhren Chinas in die USA mit Zöllen zwischen 7,5% und 25% belegt (vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Aktuell ist nur rund die Hälfte der US-Importe aus China mit Zöllen belegt
Quellen: Tax Foundation, Bantleon
Der durchschnittliche Importzoll ist in der Folge auf rund 11% gestiegen. Im Gegenzug gingen die Exporte Chinas in die USA merklich zurück. Ihr Anteil an den gesamten Ausfuhren Chinas rutschte von 19% auf knapp 15% ab (vgl. Abb. 3).
Sollte Trump seine Ankündigungen von 60%igen Zöllen auf alle Importe aus China in die Tat umsetzen, würde der Rückgang der Ausfuhren Chinas in die USA diesmal weitaus grösser ausfallen. Wird exemplarisch eine Halbierung der verbliebenen Exporte angenommen, könnte das für sich genommen das BIP-Wachstum in China um rund 1,5%-Punkte bremsen.
Abb. 3: Gegenwind durch Handelskrieg 2.0
Quellen: GAC, US International Trade Commission, Bantleon; * Zolleinnahmen in % der Importe
Wahrscheinlich wird Trump aber nicht ganz so stark an der Zollschraube drehen. Schon in seiner ersten Amtszeit hatte er einen großen Teil der Konsumgüter, die von den USA aus China importiert werden, von Zöllen ausgenommen. Der Grund dafür war der zu erwartende spürbare Inflationsschub. Ein Beispiel liefert die Entwicklung der Waschmaschinenpreise. Nachdem im Februar 2018 ein 20%iger Importzoll verhängt worden war, kam es gemäß Verbraucherpreisstatistik in den folgenden Monaten zu eine Verteuerung um bis zu 18,5%.
In Anbetracht dessen werten wir den angekündigten 60%igen Zolltarif auf alle Importe primär als Drohgebärde und Teil der Trump’schen Verhandlungstaktik. Die jüngst genannten zusätzlichen Zölle in Höhe von 10% auf alle Importe aus China als Strafe für die Belieferung von mexikanischen Drogenproduzenten sind in unseren Augen ähnlich motiviert. Die Zölle auf chinesische Importe dürften daher um weniger als 60% angehoben werden. Mithin wird von den Handelsbeschränkungen zwar unbestritten ein namhafter Bremseffekt auf das chinesische BIP ausgehen. Er sollte aber kleiner ausfallen als die zuvor genannten 1,5%-Punkte – wir sehen in einem Minus von 0,5%- bis 1,0%-Punkten ein plausibles Szenario.
Vor diesem Hintergrund ist die chinesische Regierung mit den im Raum stehenden Konsumhilfen im Volumen von 1.000 Mrd. Yuan (≈ 0,8% des BIP) gut gerüstet, um den drohenden außenwirtschaftlichen Gegenwind auszugleichen. Darüber hinaus dürfte China die Konjunkturhilfen aufstocken, wenn die Ausfuhren stärker unter Druck kommen. Darauf deuten die Aussagen von Finanzminister Lan Fo’an hin, wonach die Zentralregierung noch großen Spielraum habe, die Verschuldung zur Unterstützung der Wirtschaft auszuweiten.
Fazit: große Herausforderungen, aber auch breite konjunkturelle Unterstützung
Alles in allem ist zu erkennen, dass Peking den vielfältigen wirtschaftlichen Herausforderungen einiges entgegenzusetzen hat. Die verschiedenen direkten Hilfen für die privaten Haushalte sowie das Vorziehen finanzieller Mittel zur Stützung des Immobilienmarktes werden das Wachstum bereits im laufenden Quartal ankurbeln. Anfang 2025 sollte sich die Belebung fortsetzen. Der bis zuletzt dominierende konjunkturelle Abwärtstrend dürfte auslaufen und einer Erholung Platz machen.
Aufgrund der in Aussicht gestellten weiteren Hilfsmaßnahmen ist darüber hinaus davon auszugehen, dass auch die im kommenden Jahr zu erwartenden Bremseffekte von einer Neuauflage des Handelskriegs kompensiert werden können. Langfristig bleiben die Unsicherheiten aber hoch. Das Grundproblem des aufgeblasenen Immobiliensektors ist nicht gelöst, auch die ungünstige demografische Entwicklung stellt das Reich der Mitte vor eine Herkulesaufgabe. Der übergeordnete Abwärtstrend beim Wachstum dürfte somit fortbestehen und China bis Ende der 2020er Jahre auf »normale« Wachstumsraten von gut 3% zusteuern.
[1] Schätzungen zufolge könnte der Schuldenstand allein der Provinzen unter Berücksichtigung der Schattenhaushalte (ohne die Zentralregierung) bis zu 90% des BIP betragen.