Der neue EZB-Präsident Mario Draghi eröffnete seine Amtsperiode mit einem Paukenschlag: Im Rahmen der heutigen Notenbanksitzung gab er eine Leitzinssenkung von 1,50 % auf 1,25 % bekannt. Damit haben die Währungshüter begonnen, die im Juli dieses Jahres vorgenommene monetäre Straffung bereits wieder rückgängig zu machen. Wir selbst hatten einen solchen Schritt erst im Dezember erwartet. Etwa 50 % der Analysten rechneten sogar mit gar keiner geldpolitischen Lockerung in diesem Jahr.
Die Handschrift des »Neuen« war deutlich erkennbar. Seine Ausführungen waren schnörkelloser und stärker auf ökonomische Fakten ausgerichtet als bei seinem Vorgänger. So verwies er zur Rechtfertigung der Zinssenkung unumwunden auf die zuletzt eingebrochenen Stimmungsindikatoren. In Anbetracht dessen sei eine »milde Rezession« in der Eurozone wahrscheinlich. Die EZB werde daher auch ihre Wachstumsprognose (für 2012 bislang 1,3 %), die im Dezember neu erstellt wird, signifikant nach unten korrigieren.
Als Folge des zyklischen Abschwungs hätten sich überdies die Inflationsrisiken deutlich verringert. Die Teuerungsrate werde im nächsten Jahr wieder unter 2,0 % fallen (aktuell: 3,0 %). Die Inflationsperspektiven stünden somit völlig im Einklang mit der Zielsetzung der EZB.
Beim Zinsausblick der Notenbank knüpfte Draghi hingegen bei seinem Vorgänger an. Weder zum Zeitpunkt noch zu den Bedingungen einer möglichen weiteren geldpolitischen Lockerung wollte er Aussagen machen.
Alles in allem sah sich die EZB nicht zuletzt unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse in Griechenland (Ankündigung des Referendums, Rücktrittsgerüchte um Papandreou, möglicher Austritt der Hellenen aus dem Euroraum) und den damit verbundenen Marktturbulenzen zum Handeln gezwungen – alleine schon, um ein psychologisches Signal zu setzen. Bedenkt man, dass die Renditen 10-jähriger Staatsanleihen ausserhalb Deutschlands in den vergangenen Tagen auf neue Höchstände geklettert sind, lässt sich der Schritt aber auch ökonomisch ohne Weiteres rechtfertigen (vgl. Abbildung).
Draghi fackelt nicht lange
Die Finanzierungsbedingungen verschlechtern sich ausserhalb Deutschlands

Quellen: Bloomberg, Bantleon; *mit BIP-Anteil gewichtet
Begleitend zur Leitzinssenkung wird die Notenbank überdies ihr Staatsanleihenkaufprogramm fortsetzen. Dies werde so lange der Fall sein, wie der geldpolitische Transmissionsprozess gestört sei. Einschränkend machte Draghi aber nochmals klar, dass das Programm zeitlich und vom Umfang her begrenzt sei. Letztendlich könnten die Nationalstaaten auf Dauer nur selbst Spread-Ausweitungen verhindern.
Wir gehen davon aus, dass die EZB bereits Anfang 2012 nachlegen und den Refisatz auf 1,00 % senken wird. Im weiteren Jahresverlauf ist eine darüber hinausgehende Reduzierung in Richtung 0,50 % nicht ausgeschlossen. Dafür spricht, dass sich die ökonomische Lage in Teilen der Eurozone in einigen Monaten noch schlechter darstellen wird als nach der Lehman-Pleite. So werden etwa die Arbeitslosenquoten in den PIIGS-Ländern neue Höchststände erreichen – schon jetzt ist die EUR-Rate mit 10,2 % auf den Spitzenwert am Ende der letzten Rezession zurückgekehrt.