Es ist vollbracht: Erstmals seit Juli 2008 hat die EZB wieder den Leitzins um 25 Bp angehoben (von 1,00 % auf 1,25 %). Die Notenbank begründete den Schritt mit den gestiegenen Inflationsrisiken, die eine Anpassung der aussergewöhnlich expansiven Geldpolitik notwendig gemacht hätten.
An der aktuellen geldpolitischen Lageeinschätzung nahmen die Währungshüter unterdessen kaum Änderungen vor. Die Konjunkturdaten würden auf einen intakten wirtschaftlichen Erholungsprozess hindeuten. Gleichwohl sei der Wachstumsausblick immer noch mit Unsicherheit behaftet. Mit Blick auf das Teuerungsumfeld betonen die Notenbanker nach wie vor die Aufwärtsrisiken. Erstmals wurde dabei auch das kräftige Wachstum in den Schwellenländern erwähnt, das den Rohstoffpreisanstieg kontinuierlich anheize.
Mit grösster Spannung wurden von Investorenseite Hinweise auf die zukünftige Zinspolitik erwartet. Grundsätzlicher Stil der EZB ist es, sich in dieser Hinsicht – anders als die Fed – äusserst bedeckt zu halten. Dennoch hat es in der Vergangenheit immer wieder versteckte Andeutungen gegeben. So fungierte etwa das Codewort »Wachsamkeit« schon häufiger als Signal für bevorstehende Leitzinsschritte. 2006 begleitete die Notenbank den Straffungskurs sogar mit den Worten: »Wenn sich unserer Basisszenario bestätigt, wird die akkommodierende Geldpolitik weiter zurückgeführt«. All dies fand sich dieses Mal nicht im Kommuniqué der EZB. Stattdessen wies Jean-Claude Trichet explizit darauf hin, dass sich der EZB-Rat mit der jüngsten Entscheidung nicht gleichzeitig auf eine Serie von Zinserhöhungen festgelegt habe.
Damit wollte Trichet zweifellos die mittlerweile sehr ausgeprägten Leitzinserhöhungserwartungen der Märkte dämpfen oder zumindest nicht noch weiter anheizen. Allzu viel sollte man in diese Aussage aber nicht hineininterpretieren. Im Vorfeld der Sitzung hatten durchaus zahlreiche Notenbankvertreter deutlich gemacht, dass eine »Normalisierung« des Zinsniveaus angestrebt wird. Die implizite Neigung zu einer weiteren geldpolitischen Straffung kommt überdies in der Betonung der Aufwärtsrisiken beim Inflationsausblick zur Geltung. Die Währungshüter wollen sich im aktuellen Umfeld, das durch zahlreiche externe Schocks geprägt ist, allerdings die grösstmögliche Freiheit bewahren.
Aus unserer Sicht hängt die Leitzinsentwicklung entscheidend von der künftigen Wachstumsdynamik der Eurozone ab. In unserem Basisszenario gehen wir davon aus, dass das Expansionstempo im 1. Halbjahr hoch bleibt und die EZB somit im Juli den Leitzins nochmals anhebt (auf 1,50 %). Vor allem das BIP-Wachstum im 1. Quartal dürfte eine positive Überraschung liefern (wir rechnen in der Eurozone mit +0,6 % bis 0,7 % im Vergleich zum Vorquartal).
Die EZB leitet Kurswende ein - allerdings mit leisen Tönen
Abb.: Steilheit des Leitzinserhöhungszyklus hängt von künftiger Wachstumsdynamik ab

Quellen: Markit, EZB, Bantleon
Im 2. Halbjahr erwarten wir indes eine zyklische Verlangsamung und ein Abebben der Wachstumsdynamik auf bzw. leicht unter die Potentialrate (0,3 % bis 0,4 %). Übertragen auf den EUR-Einkaufsmanagerindex der Industrie würde dies bedeuten, dass er in den nächsten Monaten unter die 55,0-Punkte-Marke fällt (derzeit 57,5 Punkte, vgl. Abbildung). Parallel dazu werden auch die Inflationsrisiken abnehmen, so dass die EZB ab dem 3. Quartal eine Leitzinspause bis Mitte 2012 einlegen kann.
In unserem Risikoszenario verzögert sich die konjunkturelle Abschwungsbewegung um ein Quartal. In diesem Fall würde ein zusätzlicher Leitzinsschritt im September auf 1,75 % erfolgen. Aber auch daran würde sich dann eine längere Pause anschliessen.