Die schweizerische Wirtschaft befindet sich derzeit in der besten aller Welten: Der starke Franken dämpft die Inflation. Gleichzeitig profitiert die Eidgenossenschaft wie alle kleinen offenen Volkswirtschaften von der hohen globalen Wachstumsdynamik. In den kommenden zwei Jahren dürfte sich das Umfeld jedoch eintrüben. Zum einen wird die Outperformance beim Wachstum gegenüber anderen Industrieländern allmählich verloren gehen. Zum anderen dürfte die Teuerungsrate im Jahr 2012 wieder spürbar anziehen.
Outperformance der Schweiz dürfte 2011 auslaufen
Fünf Fragen an Dr. Daniel Hartmann, Senior Analyst des Anleihemanagers Bantleon
Herr Dr. Hartmann, wie bewerten Sie die aktuelle Konjunkturentwicklung der Schweiz?
Dr. Daniel Hartmann: Die konjunkturelle Lage der Schweiz stellt sich auf den ersten Blick blendend dar. Im Jahr 2010 wuchs das Bruttoinlandsprodukt um 2,6 Prozent (nach -1,9 Prozent im Jahr 2009). Die Eidgenossenschaft gehört damit zu den wenigen Ländern, deren Wirtschaftsleistung Ende 2010 bereits wieder über den bisherigen Höchstständen aus dem Jahr 2008 liegt (+1,0 Prozent) und somit die negativen Folgen der Finanzkrise komplett überwunden hat. Einen großen Anteil daran hatte der Warenexport, der im vergangenen Jahr um 10,5 Prozent zulegte – lediglich im 3. Quartal trat eine kurze Schwächephase auf, die jedoch bereits im 4. Quartal überwunden wurde. Die Frankenstärke wurde somit von der kräftigen Expansion der Weltwirtschaft in den Hintergrund gedrängt. Auf den zweiten Blick bekommt das rosige Bild jedoch bereits Risse. Zu bedenken gilt, dass der Welthandel 2010 um ein Drittel stärker gewachsen ist als die schweizerische Ausfuhr. Die eidgenössischen Exporteure haben folglich in einem günstigen Umfeld Marktanteile verloren. Darüber hinaus hat die konjunkturelle Dynamik zum Jahresende 2010 und Anfang 2011 nicht so stark angezogen wie in anderen kleinen Volkswirtschaften mit hohem Offenheitsgrad. So sind etwa die Einkaufsmanagerindizes der Industrie in Österreich, den Niederlanden und Irland in den vergangenen Monaten steil nach oben geschossen und haben im Februar 2011 neue zyklische Höchststände erreicht. Das schweizerische Pendant ist hingegen von seinem Gipfel im März 2010 noch ein gutes Stück entfernt. Relativ zu anderen Staaten hat die Schweiz somit durchaus an Terrain verloren.
Neigt sich die Phase der Outperformance der Eidgenossenschaft somit dem Ende zu?
Hartmann: Was die Ausfuhr anbetrifft sind wir in der Tat skeptisch. Wir gehen davon aus, dass der Rückenwind vom Welthandel im Laufe des Jahres nachlässt. Nicht zuletzt die chinesische Regierung ist fest dazu entschlossen, die Konjunktur zu dämpfen und hat dazu bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen, beispielsweise Leitzins- und Mindestreserveanhebungen sowie Kreditbeschränkungen. Darüber hinaus dürften sich die negativen Folgen der anhaltenden Frankenstärke erst in den kommenden Monaten voll auswirken. Entsprechend rechnen wir im laufenden Jahr mit einer deutlichen Abschwächung des Exportwachstums von Gütern und Dienstleistungen auf 3,5 Prozent, nach 10,1 Prozent im Jahr 2010.
Geht auch der Binnennachfrage allmählich die Puste aus?
Hartmann: Die Binnennachfrage ist bis Ende 2010 robust expandiert. In den nächsten Monaten dürfte die Nachfrage nach Maschinen und Anlagen jedoch im Einklang mit der Exportabkühlung an Schwung verlieren. Für die Bauinvestitionen und den privaten Verbrauch bleiben die Rahmenbedingungen hingegen grundsätzlich günstig. Sowohl die Reallöhne als auch die Erwerbstätigenzahl dürften im Jahr 2011 um jeweils solide 1,0 Prozent wachsen, während das Zinsniveau auf niedrigem Niveau verharrt. Den größten Rückenwind erzeugte in den vergangenen Jahren allerdings die Zuwanderung. Damit einher ging automatisch eine höhere Nachfrage nach Wohnraum und Konsumgütern. Der Höhepunkt der Einwanderungswelle ist mittlerweile aber durchschritten. 2010 kamen ein Drittel weniger Zuzügler ins Land als noch zwei Jahre zuvor – etwa 65’000 gegenüber 98'000. Dieser Trend dürfte sich 2011 fortsetzen. Insgesamt wird die Binnennachfrage dieses Jahr zwar erneut ein Stützpfeiler der Konjunktur sein, aber keinen zusätzlichen Schwung gewinnen.
Und wie entwickelt sich die Inflation?
Hartmann: Während das schweizerische Wachstum bis zuletzt überdurchschnittlich ausfiel, war es bei der Inflation genau umgekehrt. Anders als in der Eurozone sank die Teuerungsrate der Eidgenossen von April bis Oktober 2010 deutlich. Inzwischen ist dieser Abwärtstrend zum Stillstand gekommen. Die Kernteuerung hat sich zuletzt bei 0,0 Prozent stabilisiert. Mehrere Gründe sprechen für eine nachhaltige Trendwende. Erstens bekommen auch die eidgenössischen Unternehmen trotz des starken Frankens die jüngsten Rohstoffpreissteigerungen zu spüren. Zweitens spricht das sich zwar leicht eintrübende aber immer noch günstige globale Wachstumsumfeld für einen anhaltenden Aufwärtstrend bei den Nahrungsmittel- und Energiepreisen. Drittens hat sich die Konjunktur schon so stark erholt, dass sowohl die Industrie als auch der Einzelhandel in Teilbereichen Preiserhöhungen durchsetzen können. Deshalb dürfte die Kerninflation in den kommenden zwei Jahren in einen übergeordneten Aufwärtstrend übergehen. Anfangs sollte er noch schleichend vonstatten gehen, sich aber spätestens Ende 2011 beschleunigen, wenn der preisdämpfende Wechselkurseffekt nachlässt. Die Headline-Inflationsrate sollte zunächst dank günstiger Basiseffekte noch seitwärts tendieren. Im
2. Halbjahr dürfte sie jedoch rasch anziehen und die 1‑Prozent-Schwelle erreichen. Für 2012 rechnen wir mit einer Fortsetzung dieses Prozesses und bis zum Jahresende mit einer Inflationsrate von 1,5 Prozent.
Wie wird sich die Schweizerische Nationalbank angesichts dieser Entwicklungen verhalten?
Hartmann: Das Wachstumsumfeld würde eigentlich schon längst eine Abkehr von der Nullzinspolitik nahelegen. Angesichts des sehr günstigen Teuerungsumfelds konnte und kann sich die SNB mit der Normalisierung der Zinspolitik jedoch Zeit lassen. Überdies dürfte sie weiterhin kein Interesse an einer weiteren Aufwertung des Schweizer Frankens haben. Dementsprechend rechnen wir erst für September 2011 – und damit ein Quartal später als im Fall der EZB – mit einer ersten Leitzinserhöhung von 0,25 auf 0,50 Prozent. Danach sollte sich der Straffungszyklus in langsamem Tempo fortsetzen. Für Ende 2012 erwarten wir ein Leitzinsniveau von 1,25 Prozent.